Heft 
(2024) 117
Seite
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Adolph von Menzels Lesende Dame Busch 15 die Zeichnung einer Frau auf einer Kirchenbank knieend, möglicherweise in ein Gesang- oder Gebetbuch schauend; Körperhaltung und Lektüresitu­ation sind der Lesenden Dame ähnlich. Um eine direkte Vorzeichnung han­delt es sich hierbei allerdings nicht. Deutlich näher kommt eine allerdings 13 Jahre später entstandene Gou­ache Menzels, im Format nur geringfügig größer als die Lesende Dame, die sich heute in der Sammlung des Nationalmuseums in Warschau befindet. Das Bildnis der Spaziergängerin am Springbrunnen im Kurgarten in Kissin­ gen von 1885 zeigt ebenfalls eine lesende Dame mit Sonnenschirm. Sie hat den Kopf nach vorn geneigt und studiert einen in der rechten Hand gehalte­nen Brief oder ein Billett. Es handelt sich wiederum um eine Lektüresituati­on im Freien, die eine Integration von Literatur und Lesegewohnheiten in Alltags-, Ausflugs- und Urlaubssituationen als typisches Sujet belegt. Provenienzstationen Die Rekonstruktion der Provenienzzusammenhänge des Bildes entlang ver­schiedener Besitz- und Ausstellungsstationen ermöglicht Einblicke in eine durchaus exemplarische Sammlungs- und Ausstellungspraxis, in der Kunstwerke in privaten und öffentlichen Kontexten im 19. und 20. Jahrhun­dert zirkulierten. Wie nach dem Tod der Eltern getauschte Briefe zwischen den Kindern Theodor Fontane jun., Friedrich Fontane und Martha Fritsch , geb. Fontane , belegen, fanden sich im Nachlass Theodor und Emilie Fontanes tatsächlich fünf Aquarell- und Zeichnungsgeschenke Menzels an Theodor und Emilie Fontane darunter die Lesende Dame. 10 Menzels Geschenk wurde in das Tunnel-Album eingeklebt 11 , wie die auf der Rückseite befindlichen Klebe­spuren an den Ecken belegen. So heißt es auch in einem Brief von Friedrich Fontane an Martha Fritsch vom 7. März 1905 im Vorfeld der großen Berli­ ner Retrospektivausstellung zu Menzels Werken im Jahr 1905, in der auch die Lesende Dame ausgestellt wurde, über den Aufbewahrungszusammen­hang:»Das alte Album mit darin aufgeklebten Pflanzenblättern etc. etc. will uns aber sicherer in unserem Verwahrsam erscheinen, als wenn wir es im vorhandenen Zustand abliefern. Die Menzelblätter(also Seiten) können da­raus sehr wohl vorsichtig entfernt herausgenommen und später wieder ein­geklebt werden.« 12 So sehr die Familie Fontane auch an den Menzel -Zeich­nungen hing Martha Fritsch wollte sie erst gar nicht aus dem Album lösen und auch nicht in die Ausstellung geben, worüber ihr Bruder sich schließ­lich hinwegsetzte, mussten sie das Blatt doch schließlich aus finanziellen Gründen verkaufen. Noch im Anmeldebogen für die Adolph Menzel -Aus­stellung 1905 führte Friedrich Fontane das»Aquarell(Lesende Dame mit Sonnenschirm)[Vielliebchengeschenk für Frau E. ­Fontane ]« als»unver-