Heft 
(2024) 117
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Sieben unbekannte Fontane-Briefe aus einer privaten Sammlung  Möller 37 der Berliner noch immer nicht kannte. Man zog ihn nicht erst zur Ver­antwortung, sondern kündigte ihm ohne weiteres. Was eine Unvorsich­tigkeit gewesen sein mag, jedenfalls eine Lappalie betraf, wurde seinem Charakter zur Last gelegt. Die Entlassung erfolgte in schroffer Weise, weil man von der falschen Voraussetzung ausging, daß Brahm selbst im Wallnertheater gewesen war. Andere, die wenigstens den Sachverhalt einsahen, erklärten es für die schlimmere Pflichtwidrigkeit, zu referie­ren, ohne dabei gewesen zu sein. Jeder Journalist weiß, daß kaum eine Zeitungsnummer ohne auf Treu und Glauben berichtete Berichte zu­stande kommt. Die»Frankfurter« Zeitung wußte, daß Brahm selbst das Wallnertheater nicht betrat und druckte dennoch seine Mitteilungen ab. Tante Voß aber man sagt, er sollte sterben machte aus der Quis­quile eine Frage der Ethik. Dadurch verlor sie, wie sich Hans v. Bülow ausdrückte, ihren»Exphilistrofizienten«. Der Verein Berliner Presse, der bei Aufnahme neuer Mitglieder scharf auf Standesehre sieht, wählte vier Jahre später Otto Brahm zum Mitglied und nahm dadurch noch nachträglich für ihn Partei. 13 Offenbar warf der Chefredakteur Brahm vor, er hätte sich über den Boykott hinweggesetzt, den die Zeitung über das Wallnertheater verhängte, nach­dem Theodor Lebrun (1828–1895), der das Theater 1868–1886 leitete, Brahm im März 1883 ein Hausverbot erteilt hatte. 14 Unabhängig davon, ob Brahm das Theater wirklich selbst besucht hatte oder nur wiedergab, was etwa Schlenther ihm berichtet hatte, konnte er dem Ansehen der Vossischen Zei­tung schaden, indem er in einer anderen Zeitung als Rezensent des Wallner­Theaters auftrat. Tatsächlich findet sich in der Frankfurter Zeitung und Handelsblatt eine Reihe von Beiträgen, die Brahm mit vollem Namen oder mit seiner Chiffre O. Brm. gezeichnet hat. Unter anderem erschienen in der Zeitung 1881 ein Feuilleton über Gottfried Keller und Auszüge aus der preisgekrönten Kleist-Biographie Brahms . Auch eine Reihe von Theaterbe­richten ließ sich ermitteln, die Brahm namentlich gezeichnet hat. Mit der Chiffre O. B-m. gezeichnet ist ein Bericht in der Frankfurter Zeitung vom 22. Dezember 1884 über die Premiere von Julius Rosens Schwank Halbe Dichter im Wallnertheater. 15 Fontane, der sich 1883 mit Brahm solidarisiert hatte, ergriff auch 1885 wieder Partei für den jungen Kritikerkollegen. Er schrieb an den Chefre­dakteur Friedrich Stephany (der Brief ist nicht überliefert) und setzte sich für Brahm ein. Am 27. März 1885 berichtete er Brahm, der sich aus Paler­ mo 16 brieflich bei ihm erkundigt hatte, über den Stand seiner Angelegenhei­ten in Berlin . Der Bruch der Zeitungsredaktion mit Brahm war nicht mehr abzuwenden. Trotzdem bekannte sich Fontane auch später zu Brahm. Am 16. April 1886 schrieb er an Stephany, er sei der Überzeugung,»daß wir in Brahm-Schlenther die besten Nummern der jungen Schule gehabt haben respektive noch haben.« Sie seien»[v]on Natur gescheit, gut geschult und