56 Fontane Blätter 117 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte Scham, Strafphantasien und Ängsten herum, die sie im Traum mit»schrecklichen Bildern« quälen:»Bald wurde sie verfolgt, bald fiel sie vom Baume und zuletzt hatte sie sich in einen Vogel verwandelt und eine große Eule wollte sie fressen.«(T 117f.) Am Ende schwört Ilse, nie wieder einen solchen Streich auszuführen. Die vielfältigen Elemente symbolisch chiffrierter Erotik – knabenhafte Backfische mit homoerotischer Neigung, Reit- und Kletterpartien, Näharbeiten, Vögel, Blumen, Garten, Hitze, der Spuk – erinnern an zahlreiche ähnliche Motive und Ereignisse in Effi Briest und hinsichtlich der erotisch konnotierten Gespenstererscheinungen nicht zuletzt auch an andere ›Frauen‹-Romane Fontanes. 19 Gisela Wilkendings Hypothese, dass Rhoden im Trotzkopf eine»Kastrationsgeschichte« erzählt, erscheint plausibel, denn tatsächlich enthüllt der brachiale Einsatz der genannten Motive die Geschichte einer durch Scham, Angst, Strafe und Eheordnung verstümmelten weiblichen Sexualität und verdeckt diese zugleich. 20 Allerdings muss die Frage, inwiefern der Autorin dieser psychosexuelle Subtext bewusst war, unbeantwortet bleiben. Gefährten, Parallelgeschichten und Theater Wie in Effi Briest spielt auch im Trotzkopf ein Hund eine wichtige Rolle: Ilse wünscht sich, dass sie Bob, den Nachwuchs ihrer Jagdhündin Diana, als freundschaftlichen Begleiter mit in die Pension nehmen darf, was ihr die Pensionsleiterin jedoch nicht gestattet. Die Trennung vom Tier wird von Ilse im Verlauf des Jahres als vernünftig akzeptiert; langfristig ersetzen die Pensionsfreundinnen die als unreif und kindisch ausgewiesene Tierliebe. Fontane dagegen stellt Effi mit Rollo einen lebenslang treuen Freund zur Seite, der sie bis in den Tod begleitet. Wie Ilse ist auch Effi in ihrer Backfischzeit umgeben von drei gleichaltrigen, zu Teilen erotisch interessierten Freundinnen. 21 In beiden Romanen tummeln sich pubertierende Mädchen beim Spiel in einem idyllisch-sommerlichen Gärten, klettern, schaukeln, jagen und verstecken sich. Zu Ilses Freundinnen zählt neben Nellie und Orla die um ein Jahr ältere kapriziöse Melanie Schwarz, die der Ehebrecherin Melanie van der Straaten(geborene de Caparoux) in L’Adultera hinsichtlich ihrer Verwöhntheit, Eitelkeit und Schönheit ähnlich ist(T 101, 106, 111, 137). Melanie Schwarz schreibt den Namen des von ihr angebeteten Lehrers auf einen kleinen Zettel und trägt diesen in einem Medaillon mit sich herum – in L’Adultera überreicht der düpierte Exmann Melanie am Ende des Romans einen Apfel, in welchem sich ein Medaillon verbirgt, das wiederum ein Bild enthält. 22 Bemerkenswert sind auch die Ähnlichkeiten hinsichtlich des Einsatzes von Parallelgeschichten, nur dass diese bei Rhoden ungleich trivialer ge-
Heft  
(2024) 117
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56
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