82 Fontane Blätter 117 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte schon unterm Gewehr. Der Leutnant steckte urplötzlich den gezogenen Degen in die Scheide, und mein Hintermann murmelte»Schafskopf!« mit einem verächtlichen Blick auf die Schneider-Schildwacht, die eines königlichen Bedienten halber die Whistpartie gesprengt und meinen großen Zeh in Lebensgefahr gebracht hatte. Die Wachaufzüge folgten einem peniblen Reglement, ebenso wie der Wachdienst selbst und die sogenannten»Honneurs «. Darunter verstand man genau definierte Ehrenbezeigungen, die, gestaffelt nach Rang und Auszeichnung des Empfängers, bei dessen Erscheinen zu erbringen waren. 82 In diesem Dschungel an Vorschriften konnte man sich leicht verirren, und so schildert denn auch Fontane den Fall eines rheinländischen Kameraden, dem ein Wachkommando am Potsdamer Tor übertragen war und der die Honneurs gegenüber einer»Prinzlichkeit« nicht korrekt ausführte oder anordnete. Dass der junge Vizeunteroffizier dafür mit Arrest bestraft wurde, mag wohl heute erstaunen; damals aber waren auch für kleinste Vergehen strenge Strafen vorgesehen, die stets auch abschreckenden Charakter haben sollten. Außerdem lesen wir bei Fontane von Felddienstübungen: Bei der einen verirrt er sich als frischgebackener Unteroffizier mit seiner Patrouille im Wald, 83 bei der anderen brüskiert er seinen Vorgesetzten und Freund – letztere Episode findet sich allerdings erst im Abschnitt»Der Tunnel über der Spree« in dem Kapitel über Bernhard von Lepel . 84 Im Ganzen präsentiert sich Fontane so unmilitärisch wie möglich, so dass man sich am Ende fragt, wie es wohl zu seiner Beförderung gekommen war. Nur auf der»Pulvermühlwache« 85 zeigte er sich als wachthabender Unteroffizier denn doch etwas strammer, nicht ohne sein dortiges Verhalten ironisch als»militärische Großthat« sofort wieder herunterzuspielen. Doch warum kam es überhaupt zu jener Episode? – Die königlichen Wachen hatten eben nicht nur militärische Funktion, sondern übten auch polizeiliche Aufgaben aus. 86 Witzleben führt dazu aus:»Die Sicherheitswachen dienen zur allgemeinen Sicherheit des Ortes, in welchem sie gegeben werden; sie sollen Ruhe und polizeiliche Ordnung aufrecht erhalten.« 87 Deshalb also musste Fontane »auf Pulvermühlenwache« 88 als Wachthabender einen»Radaubruder« festnehmen lassen, der in einem Lokal in der Nähe randaliert und damit Ruhe und Ordnung gestört hatte. – Neben den Wachen gab es noch Patrouillen, die vor allem nachts auch die Wachen kontrollierten; zu deren Aufgaben schreibt Witzleben:»Patrouillen werden entweder zu polizeilichen Zwecken, zur Aufrechthaltung der öffentlichen Ruhe, oder zu militairischen Zwecken entsendet, auch werden wohl beide Zwecke mit einander verbunden.« 89 Das macht deutlich, dass auch das Militär Bestandteil des Polizei- und Überwachungsstaats war – allerdings stand Preußen mit diesem Herrschaftssystem in Europa nicht allein da, perfektionierte dieses jedoch mit ›preußischer Gründlichkeit‹. Auch die ›preußische Sparsamkeit‹
Heft  
(2024) 117
Seite
82
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