Heft 
(2024) 117
Seite
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Unbekanntes von Josef Ettlinger  Rasch 95 Romanen hinwies. Gleichzeitig aber auch schon auf einen»fundamentalen Unterschied« in der Romantechnik Flauberts und Fontanes deutete, den er 1904 wiederholt aufgriff: Wenn man schon öfters»Effi Briest « das deutsche Gegenstück zu»Ma­ dame Bovary « genannt hat, so liegt die Berechtigung dazu viel mehr in den Gegensätzen, als in den stofflichen Ähnlichkeiten beider Meister­werke. Flaubert, der exakte Realist, folgt jedem Stadium der Verfüh­rung seiner Heldin fast mit dem Sekundenzeiger; Fontane überschlägt ganz im Stile des Balladendichters solche leicht erratbaren Vorgänge ganz und überläßt es dem Leser, sich das Wann und Wieso aus dem wei­teren Verlaufe der Dinge selbst zurechtzudenken. 11 Auch hier ist Ettlinger weit davon entfernt zu behaupten, Madame Bovary aus dem Jahr 1857 sei die Vorlage zu Effi Briest gewesen. Nach allem, was wir heute wissen, hat Fontane das Buch nie gelesen, auch wenn gelegentlich das Gegenteil behauptet wird. 12 Es wird weder in Fontanes Gesamtwerk erwähnt, noch in seinen Briefen und Tagebüchern. Der Name Flauberts kommt in Roland Berbigs profunder Theodor Fontane Chronik überhaupt nicht vor. Als unmittelbare oder mittelbare ›Anregung‹ für Fontanes Effi Briest wäre Ettlingers Übertragung 1892 ohnehin zu spät gekommen, denn Fontane arbeitete schon im Jahr 1890 an seinem Roman. 13 Ettlinger hat je­doch wiederholt darauf aufmerksam gemacht, dass Flaubert als einer der Begründer des modernen französischen Romans ganz allgemein einen Wellenschlag verursachte, von dem letztlich auch Fontane erreicht wurde. »Der Modernste der Modernen« Ettlingers erste Wortmeldung zu Fontane Im Sommer 1892 veröffentlichte Ettlinger erstmals eine kritische Stellung­nahme zu Fontane , eine Besprechung des Romans Frau Jenny Treibel. 14 Da­rin hebt Ettlinger die eigenständige Bedeutung Fontanes innerhalb der zeitgenössischen deutschen Romanliteratur hervor. Gemeinhin sieht er den Romancier Fontane ganz im Strom jenes»mächtigen Aufschwung[s], der uns von Frankreich her gerade auf diesem Kunstgebiet seit Balzac und Flaubert kam und unter unsern neueren Autoren in Keller und Fontane sei­ne glänzendsten Vertreter gefunden« habe(S. 4). Fontane sei»der Mo­dernste der Modernen, ganz ein Kind seiner Zeit und seiner märkischen Heimath« und habe sich»nach und nach in eine eigene, vorläufig ganz al­lein ihm gehörige Kunstform hineingearbeitet, auf die der von ihm selbst noch angewandte Titel Roman nur sehr nothdürftig paßt«. Er entfalte»die wundersame Kunst[], das Ungesucht-Alltägliche poetisch zu beleben, das Nüchtern-Reale künstlerisch zu gestalten und so ein Segment aus dem ­ächten, vollblütigen Leben zu geben, ohne romantische Fügungen und selt-