Heft 
(2024) 117
Seite
100
Einzelbild herunterladen
  

100 Fontane Blätter 117 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte Abschied Villa Stella Ob und wie oft sich Ettlinger und Fontane seit Mitte der 1890er-Jahre in Berlin gesehen haben, lässt sich nicht feststellen. Im Sommer 1898 kam es jedenfalls während eines Erholungsaufenthalts Ettlingers auf dem Weißen Hirsch bei Dresden , wo sich Fontane schon seit Mai einquartiert hatte, zu persönlichen Begegnungen, für Ettlinger »unvergeßlich[e]« Stunden heite­ren, anregenden, unterhaltsamen Zusammenseins. Fontane schreibt am 16. Juni 1898 vom Weißen Hirsch bei Dresden an seinen Sohn Friedrich: »Ettlinger hat sich für morgen vormittag bei mir angemeldet. Er wohnt in Villa Stella; mög es ihm ein guter Stern sein.« 34 Dieser gute Stern leuchtete Ettlinger noch einige Jahre. 1898 übersetzte er den psychologischen Roman Adolphe(1816) von Benjamin Constant (1767–1830), 1909 veröffentlichte er mit Benjamin Constant . Der Roman ei­nes Lebens eine viel beachtete Biographie des gebürtigen Schweizers, libe­ralen Politikers und Schriftstellers. Seine enorme journalistische Begabung krönte er im Oktober 1898, kurz nach Fontanes Tod, mit der Schaffung ei­ner Literaturzeitschrift, dem Literarischen Echo. Halbmonatsschrift für Li­teraturfreunde, das zunächst von Friedrich Fontane verlegt wurde und 1904 an Egon Fleischel überging. Unter Ettlingers Redaktion avancierte das Blatt zu einer der angesehensten Literaturzeitschriften in Deutschland , das für Jahrzehnte(Ettlinger redigierte es bis zu seinem Tod, danach über­nahm die Herausgeberschaft wie beim Salon-Feuilleton sein Freund Ernst Heilborn ) eine einzigartige literarische Chronik abbildet und bis heute (auch aus bibliographischer Sicht) eine außerordentlich wertvolle Quelle darstellt. 1902 wandte sich der Journalist Ettlinger auch dem Theater zu, übernahm den Vorsitz des Vereins Neue Freie Volksbühne, der 1892 auf Initiative von Bruno Wille gegründet worden war. Unter Ettlingers Vorsitz und mit seinem viel gerühmten Organisationsgeschick blühte der Verein auf und wuchs von etwa 1.800 auf 50.000 Mitglieder. 1911 ereilte Ettlinger ein Ruf als Leiter der Feuilletonredaktion an die renommierte Frankfurter Zeitung . Er zog mit seiner Familie von Berlin nach Frankfurt am Main , konnte die Redaktionsleitung allerdings wegen seiner inzwischen schwer angeschlagenen Gesundheit nicht mehr aufnehmen. Ettlinger erlag, erst 42 Jahre alt, am 2. Februar 1912 in Frankfurt seiner schweren Krankheit. Von seinem literarischen Nachlass scheint nur noch ein Rudiment zu existieren. Die Handschriftenabteilung der Stadt- und Universitätsbiblio­thek Frankfurt am Main verwahrt zahlreiche Briefe von Autoren und Auto­rinnen an Josef Ettlinger auf, einer beachtlichen Schar von Persönlichkei­ten des literarischen und intellektuellen Lebens in Deutschland seit etwa 1894. 35 Fontane ist nicht darunter.