Heft 
(2024) 117
Seite
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102 Fontane Blätter 117 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte Der alte Fontane . In memoriam. Noch in den letzten Wochen war dem alten Theodor Fontane im deutschen Blätterwalde eine vielstimmige Ovation bereitet. Sie galt seinem jüngst er­schienenen autobiographischen Buche»Von Zwanzig bis Dreißig «, das die früher erschienenen»Kinderjahre« so charmant fortsetzt; und in fast jedem dieser vielen Artikel kehrte eine Bemerkung wieder: das Buch habe nur den einen großen Fehler, daß es in der Vorrede heiße, eine Fortsetzung solle nicht mehr folgen. Das wollte man nicht für bare Münze nehmen, und der alte Herr hat es wahrscheinlich auch selbst nicht so ernsthaft gemeint. Aber ein Höherer hat ihn beim Wort genommen und den letzten, allerletzten Schlußstrich unter dieses an Erinnerungen und späten, herrlichen Früch­ten so reiche Leben gesetzt. Am Abend eines schönen Herbsttages, in sei­nem alten, vertrauten, engen Heim, ohne Kampf, ohne Schmerz, ohne Krankheit, ganz ohne die Aufregung und bange Bestürzung, die ein erwar­teter Todesfall als Schatten vor sich hinwirft, hat er die Augen geschlossen, um sie nicht wieder aufzuthun. So hatte er es selbst sich gewünscht, dem jede Gefühlsthuerei und Rührseligkeit, jede tragische Pose so zuwider und so fremd war, und keine Sterbensart hätte zu dem ganzen Wesen und der Eigenart dieser unvergeßlichen Persönlichkeit so merkwürdig genau ge­paßt, wie dieser rasche, umstandslose fast fröhliche Tod. Das Erscheinen seines letzten großen Werkes, des Romans»Der Stech­ lin «, der in einigen Wochen auf dem Büchermarkt erscheinen soll, hat er nicht mehr erleben dürfen. Aber auch ohne dieses posthume Werk, das wie alle anderen in märkischem Boden wurzelt, ist die Familie seiner Bücher so groß und stattlich, daß nur wenige seiner treuesten Verehrer ein jedes ihrer Glieder persönlich kennen. Sie läßt sich in vier Gruppen teilen, diese Bü­cherfamilie. Die erste Gruppe sind die Gedichte und Balladen, die zweite die Kriegsbücher über die drei großen preußisch-deutschen Feldzüge, die dritte die Wander- und Reisebücher und die vierte und letzte die Romane. Von den Gedichten und Balladen wird ein ganzes Teil in den preußischen Schulen alljährlich tapfer deklamiert, und der wundervolle»Archibald Douglas « allein, in Carl Löwes kongenialer Komposition, würde genügen, den Namen seines Dichters frisch grünend zu erhalten; von den Kriegsbü­chern hat sich namentlich das Memoirenstück»Kriegsgefangen«, das Fon­tanes eigene Kriegsgefangenschaft im deutsch -französischen Kriege schil­dert, in lebendiger Gunst erhalten; von den Reisebüchern besitzen die vierbändigen, historisch-poetischen»Wanderungen durch die Mark Bran­denburg« eine stets sich erneuernde Gemeinde innerhalb der märkischen Bezirke. Seine Romane aber haben dem Greise verschafft, was dem Manne noch versagt blieb; den dauernden und sichtbaren Platz in der Weltliteratur.