Heft 
(2024) 117
Seite
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106 Fontane Blätter 117 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte Etwas früher, ein paar Wochen vor Bismarcks 80. Geburtstage, hatte ich mir erlaubt, ihn für ein zeitschriftliches Unternehmen, dem er warmes In­teresse bewiesen hatte, um ein Denkblatt zu dem großen Festtage, seis in Prosa oder in Versen anzugehen. Damals schrieb er:».. Besten Dank für Ihre freundlichen Zeilen. Aber mit Bismarck, das geht nicht. Verzeihen Sie mir: nur noch ein ganz Jugendlicher oder ein pecus oder ein vor Eitelkeit zum Narren Gewordener kann sich hinsetzen und ein Gedicht oder auch nur einen Prosa=Hymnus auf Bismarck schreiben. Ein Grüner, ein Schaf, ein Geck, oder aber wie ich gerne zugebe ein Genie, das den Vorhang von einer neuen Welt wegzieht und Bismarck in einem neuen Lichte zeigt. Aber wer kann das? Ich nicht. Und ich sehe Viele, dies auch nicht können. Eine beklagenswerte Mode ist es, von den sogenannten»führenden Geis­tern der Nation«(ein wahres Glück, daß ihnen die Führung nicht obliegt) Antwort auf jede Frage zu verlangen, immer frisch fromm fröhliche Begeis­terung für jeden Mann und jede Sache. Nach meiner Meinung giebt es in Deutschland keinen einzigen Menschen, der über Bismarck noch ein neues hübsches Wort, seis in Vers, seis in Prosa, sagen könnte. Alles ist gesagt, jeder Ton ist angeschlagen, man kann nicht mal mehr neu über ihn schimp­fen…« Und doch war es Theodor Fontane allein, der beim Tode des großen Kanzlers die wenigen schlichten, mächtig ergreifenden Worte fand, die vor Wochen die Runde durch alle deutschen Zeitungen machten, das kleine Ge­dicht, das mit den Zeilen schloß:».. Lärmt nicht so! Hier unten liegt Bis­ marck irgendwo.« Es ist ein schöner und sinnvoller Zufall, daß seine letzten Verse dem Manne galten, der ihm in dieser Welt am meisten imponiert und den er unverdrossen mit derselben Liebe geehrt und gefeiert hat. Unver­drossen, denn einen Gegenbeweis von freundlicher Gesinnung hat er nie erhalten. Ein paar seiner Werke hat er wohl früher dem damals noch wal­tenden Reichskanzler zugesandt, aber sie fanden keinen Dank und keine Erwiderung. Gewiß nur ein Zufall, denn Bismarck , der jedem kleinen Wahlverein für Glückwünsche oder Huldigungstelegramme dankte oder danken ließ, wird nicht einen deutschen Dichter, dessen Art für ihn so viel Sympathisches haben mußte, mit Absicht haben verletzen wollen. Aber Fontanes Stolz hat es ihm doch trotz aller Verehrung nicht erlaubt, sich später dem großen Manne nochmals zu nähern. Stolz im äußerlichen Sinne lag freilich seiner Art ganz fern. Seine Artig­keit im schriftlichen, wie mündlichen Verkehr, ein Erbteil seiner gaskogni­schen Vorfahren väterlicherseits, war beinahe sprichwörtlich. Diesen Som­mer hatte er seine Villeggiatur mit Frau und Tochter in einem kleinen Häuschen der Villenkolonie auf dem»Weißen Hirsch« bei Dresden ; dort war ich eine Zeit lang sein Nachbar, und die Stunden, in denen ich seine Gesellschaft und seine unvergleichliche Kunst des Plauderns genießen