Heft 
(2024) 117
Seite
139
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Arbeitszimmer und Schreibtische  Hehle 139 spezifischer historischer Kontexte zu betrachten, erlaubt häufig den Rück­schluss auf ein bestimmtes Kunstideal, wird auf Fotos, Zeichnungen und Kupferstichen, in Dichterhäusern und-museen, Bibliotheken und Archiven konserviert, rekonstruiert, musealisiert. Im Gehäus und unter freiem Himmel Am Beginn der deutschsprachigen Literatur freilich gibt es das alles nicht und auch keine Identität zwischen Autor*in und Schreiber*in. Textproduk­tion und anfangs auch-überlieferung geschehen mündlich und oft ambu­lant. Als mit den meist klösterlichen Skriptorien Räumlichkeiten der Buch­produktion fassbar werden das früheste und berühmteste Beispiel ist der um 820 entstandene St. Galler Klosterplan, bleibt die Verschiedenheit von Autor*in und Schreiber*in dennoch bestehen, und beide sind im Sinne der Schreibszene unsichtbar. Anstelle von Schreibtischen erlauben portable Pulte Flexibilität innerhalb des Skriptoriums, eines Ortes gemeinschaftli­cher Arbeit. Mit dem studiolo der Humanisten tritt erstmals das individuelle Arbeitszimmer als Mittelpunkt des kreativen Lebens in Erscheinung. Als Metapher für geistiges Schaffen wird es in Stichen und Illustrationen festge­halten und verbreitet, ein spezieller Bildtypus entsteht, beeinflusst von der Ikonografie des heiligen Hieronymus»im Gehäus« und der Darstellung Pe­trarcas in seinem Arbeitszimmer(Abb. S. 34). Parallel zum steigenden ge­sellschaftlichen Status humanistischer Gelehrsamkeit und der Selbstinsze­nierung auch der sozialen Elite als Kenner- und Förder*innen von Kunst und Wissenschaft füllt sich das»Gehäus« mit kostbaren Gegenständen und wird (auch) zum Raum der Repräsentation. In Luthers Wittenberger Studierstube öffnet es sich zu einem multifunktionalen und für jedermann zugänglichen Raum. Begegnung, Verbindung und Gemeinschaft stehen auch im Zentrum der barocken Schreiborte, die Plachta herausgreift: Das»Poetenwäldchen« und der»Irrhain« der Nürnberger Sprachgesellschaft Pegnitz-Schäfer sind Orte der informellen Zusammenkunft und des gemeinschaftlichen Dichtens unter freiem Himmel. Im Arbeitszimmer des Halberstädter Domsekretärs Johann Wilhelm Gleim , von ihm als»Tempel der Freundschaft und der Mu­sen« bezeichnet, hängen Porträts der bedeutenden Wissenschaftler und Künstler seiner Zeit. Zusammen mit Gleims umfangreichem Brief- und Handschriftenarchiv und seiner Bibliothek spiegelt diese Galerie das große überregionale Netzwerk, in dem sein intellektuelles Leben sich abspielte. Familientrubel, kreative Freiheit, Schreiben im Akkord Mit der Aufwertung der privaten Sphäre als Ausdrucksmedium der Be­wohnerin oder des Bewohners geht im späteren 18. Jahrhundert ein öffent­licher Diskurs über Einrichtung und Design einher, der beispielsweise im Journal des Luxus und der Moden oder in der Zeitschrift Pomona für Teutschlands Töchter geführt wird. Deren Herausgeberin, Sophie von La