Arbeitszimmer und Schreibtische Hehle 143 für eine ausführlichere Analyse von Fontanes ikonischem Schreibtischfoto Petra McGillens Monografie The Fontane Workshop(2019) empfohlen, die nun auch auf Deutsch in der Reihe Fontaneana vorliegt. Design, Exil, Zimmer-Chaos Großen Wert auf eine zu ihrem Lebensgefühl und Kunstideal passende Einrichtung legte das»literarische Traumpaar der Jahrhundertwende«(S. 181), Ida und Richard Dehmel . Interessiert an moderner Raumkunst und befreundet mit Designern wie Adolf Loos oder Peter Behrens , entwarf Deh mel selbst die Möbel für das Haus in Blankenese , dessen Kaufpreis ein Geschenk von Freunden zu seinem 50. Geburtstag 1913 war. Auf die Gestaltung seiner Arbeitsumgebung verwandte auch Gerhart Hauptmann größte Sorgfalt, sowohl in Agnetendorf als auch in seinem Sommerhaus auf Hid densee ; anders als bei den Dehmels ging es hier aber weniger um die Ästhetisierung der Alltagswelt und die gegenseitige Durchdringung von Leben und Kunst als um die Überhöhung und Musealisierung der eigenen Person und des eigenen Werks. Je weiter wir ins 20. Jahrhundert fortschreiten, desto mehr verschiebt sich der Fokus von Plachtas Darstellung auf Schreibtische und-materialien. Zwei Schreibtische hatte Kafka , die er antagonistisch, als Symbole der beiden unvereinbaren Seiten seines Lebens betrachtete: den kleinen privaten(Abb. S. 205), an dem seine literarischen Texte entstanden, und jenen in der Arbeiter-Unfallversicherungs-Anstalt, an dem er als Jurist seinen dienstlichen Verpflichtungen nachkam. Hermann Hesse ließ sich 1904 für sein Haus am Bodensee einen Schreibtisch anfertigen, dessen Preis der Jahresmiete des Hauses entsprach, und vollzog 1908 hochbewusst den Medienwechsel von der Füllfeder zur Schreibmaschine (Abb. S. 215). An dieser schätzte er nicht nur ihre ergonomischen Vorteile, sondern auch die größere Distanz zwischen Text und Autor, die sie seinem Empfinden nach erzeugte. Ebenfalls auf der Schreibmaschine schrieb Ber tolt Brecht , dem es allgemein um eine transparente und pragmatische Arbeitsorganisation ging, passend zu seiner bevorzugten Weise der Textproduktion im»Kollektiv«(S. 234). Freud ließ sein Wiener Arbeitszimmer und die Sammlung antiker Statuetten fotografisch dokumentieren, bevor er 1938 ins Londoner Exil ging. Für Thomas Mann waren Arbeitszimmer und Schreibtisch ein»Symbol für gelingendes Leben«(Inge Jens , S. 221), ein Bollwerk gegen die Bedrohung von Zivilisation, Kultur und Recht. Seine Tagebücher dokumentieren die Erleichterung, die er empfand, wenn an einem neuen Wohn- bzw. Exilort der Ende der 1920er-Jahre bei Bernheimer in München erworbene Schreibtisch samt dem»pedantisch festgelegten Arrangement«(Klaus Mann , S. 219) der Gegenstände darauf seinen Platz gefunden hatte. Dies war auch die Voraussetzung dafür, dass der überwiegend handschriftliche Nachlass seines Sohnes aus den Exiljahren fast vollständig erhalten ist; sobald die Eltern wieder einen festen Wohnsitz hatten, depo-
Heft  
(2024) 117
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143
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