Heft 
(2024) 117
Seite
144
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144 Fontane Blätter 117 Rezensionen nierte der Nomade Klaus Mann , der schon 1931 einen Gruß an das 1200. Ho­telzimmer verfasste und vermutlich nie einen eigenen Schreibtisch besaß, seine Materialien bei ihnen. Anna Seghers begleitete ihr»Schutzpatron« (S. 248), ein Heine-Autograph, durch alle Exilstationen bis in ihre letzte Wohnung in Berlin-Adlershof , wo sie auf dem Balkon zu arbeiten pflegte. Sie schrieb auf einer Remington, während Max Frisch die»Lieblings­schreibmaschine der Schriftsteller«(S. 259) benutzte, die leichte und gut transportable Hermes Baby. Ebenso wie Heinrich Böll , der das Ordnungs­und Stabilitätsversprechen von Wohnungen und Alltagsgegenständen wie 100 Jahre zuvor Stifter in Frage stellte, lehnte Frisch elektrische Schreib­maschinen im Gegensatz zu mechanischen ab, weil ihr Summen ihn störte. Arno Schmidt schloss sich in Bargfeld mit seinen Zettelkästen in eine be­engte Dachstube, seinen»Bücherhag«(S. 251), ein, Thomas Bernhard sa­nierte mit beträchtlichem Aufwand seinen»Denk- und Schreibkerker« (S. 269), den spätmittelalterlichen Vierkanthof im oberösterreichischen Obernathal, um ihn dann so gut wie nie zu bewohnen: Der Prozess der Re­novierung war das Eigentliche und bedeutender als das Ergebnis, parallel zum Schreibprozess, verstanden als ein endloses work in progress. Friede­rike Mayröckers»Zimmer-Chaos« in Wien (S. 276) gilt das vorletzte Kapitel und den ihrerseits ikonischen Fotos, die sie über Jahrzehnte hinweg in glei­cher Pose und gleichem Kleidungsstil zeigen, im gleichen Arbeitszimmer, in dem nur die Masse an Papier und Büchern von Bild zu Bild in bedrohlich anmutender Weise zunimmt. Auch sie verwendete übrigens eine Hermes Baby, die keine Type für ß besitzt daher das zu einem grafisch-poetischen Erkennungsmerkmal ihrer Texte gewordene sz. Was wie die Wohnung ei­ner Messie aussieht, war für Friederike Mayröcker , wie Plachta schreibt, ein»stimulierender Hallraum«(S. 278) und Abbild ihrer Poetik, die ihre Energie aus der nicht endenden Materialanhäufung und dem rastlosen Im­mer-weiter-Schreiben bezog. Um zu ermessen, wie zutreffend das ist und welch ein Verlust an Poesie in der Welt, dass dieser Strom von Kreativität mit Friederike Mayröckers Tod 2021 zum Stillstand gekommen ist, braucht man nur etwa ihr letztes Buch da ich morgens. und moosgrün. Ans fenster trete(2020) an beliebiger Stelle aufzuschlagen. Im Schlusskapitel widmet Bodo Plachta sich der Konservierung und Musealisierung von Schreiborten, u. a. am Beispiel von Grillparzers Ar­beitszimmer aus der Wiener Spiegelgasse, das zu fotografieren schon Kaf­ ka 1914 anlässlich der ersten Ausstellung Grete Bloch bat, und seinem Di­rektionszimmer im einstigen Hofkammerarchiv, das seit 2015 Teil des Literaturmuseums der Österreichischen Nationalbibliothek ist. Ein weite­res Beispiel ist die Installation von Vadim Zakharov , die seit ­Adornos 100. Geburtstag 2003 auf dem Campus der Universität Frankfurt dessen Schreibszene in komplexer Weise eher(nach)erzählt denn rekonstruiert (Abb. S. 292). Abschließend lenkt Plachta den Blick auf die Tatsache, dass