Arbeitszimmer und Schreibtische Hehle 145 Lebensort, Arbeitstopografie und Werkgenese keine ›automatische‹ Einheit bilden, sondern ein kuratorisches Konstrukt sind, dessen Fähigkeit, etwas wie den genius loci zu vermitteln, stets einen kritischen zweiten Blick verdient. Plachtas Arbeitszimmer und Schreibtische ist ein sehr empfehlenswertes Buch, das bei allem Aspekt- und Facettenreichtum die Fülle an biografischer, kulturhistorischer, auch anekdotischer Information immer überzeugend an die Bedingungen und Charakteristika des jeweiligen kreativen Prozesses zurückbindet. Bedauern mag man, dass die Auswahl sich(u. a. weil der Ausgangspunkt noch existierende Dichterwohnungen sind, vgl. S. 9) sehr am traditionellen Kanon orientiert und auf deutschsprachige Autor*innen beschränkt bleibt. Recht männerlastig ist die Kollektion auch: Außer Sophie von La Roche , Annette von Droste-Hülshoff , Anna Seghers und Friederike Mayröcker hat keine Autorin ein eigenes Kapitel; weitere werden nur kurz in größerem Zusammenhang erwähnt. Ein Kapitel etwa über Ingeborg Bachmann hätte sich durchaus angeboten, und sei es in Verbindung mit jenem zu Max Frisch . Wie arbeiteten Autorinnen wie Marlen Haushofer , die niemals a room of their own zur Verfügung hatten? Oder wie erging es den Romantikerinnen, gerade unter dem Aspekt der literarischen Kooperation und des ehelichen bzw. familiären Zusammenlebens? Wie sah das bei Rahel und August Varnhagen von Ense aus? Bei Bettine und Achim von Arnim mit ihrer Kinderschar? Aber freilich, man kann nicht alles behandeln und nicht alle Archive, Museen und Dichterhäuser besuchen, so aufschlussreich das – den angesprochenen zweiten Blick vorausgesetzt – auch wäre und so viel Spaß es sicher auch Bodo Plachta bei der Vorbereitung dieses reizvollen Projekts gemacht hat. Christine Hehle
Heft  
(2024) 117
Seite
145
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