Kriegsgesellschaft Schneider 39 wie folgt kommentiert:»lauter dummes Zeug, Bombardements-Langweiligkeiten, aber vorgetragen, mit immer tiefer gehendem Ton, wie ein Kapitel aus dem Inferno.« 7 Die Empfindungen, die das Kriegsgeschehen in ihm hervorruft, beschreibt er in der Szene auf dem Mont des Moulins nicht als einen heroisch zu überwindenden»Schrecken«, sondern als touristisches »Amüsement« und»Entzücken«. Der Journalist Fontane interessiert sich weniger für die Schlacht selbst als für die sozialen Praktiken und Kommunikationsweisen, die sie bei den Zivilisten auslösen. Die Schlachtenbummler spazieren auf den Beobachtungspunkt des Windmühlenberges von St. Denis und»plaudern« über den möglichen Ausgang. Der Krieg wird Teil einer morbiden Freizeitkultur, die Sozialwissenschaftler zu Beginn des 21. Jahrhunderts als ›Dark Tourism‹ und ›Thanatourism‹ beschreiben werden. 8 In Fontanes Reportagen entsteht ein ästhetischer Raum, dem das Element des Erhabenen abgeht und damit auch jene martialischen Töne, die die Kriegsliteratur des Kaiserreichs so häufig anschlug. Fontanes journalistische Kriegsdarstellungen stehen in seinem Werk nicht isoliert, sondern bilden die Brücke zu seinem Schaffen als Romanschriftsteller. 9 Nach seiner Rückkehr machte er sich an seine knapp zweitausend Seiten umfassende historische Abhandlung Der Krieg gegen Frankreich ; 10 im Anschluss veröffentlichte er seinen ersten Roman Vor dem Sturm, der zu Zeiten der Befreiungskriege spielt. 11 Während er in der historischen Studie die Kriegsereignisse selbst aufarbeitet – die Marschrouten der Truppen, der Verlauf der Schlachten, die Opferzahlen etc. –, wechseln die Romane wieder in die Perspektive der Kriegsreportagen und nehmen die Folgen der ›Einigungskriege‹ und der preußischen Militärpolitik für die Gesellschaft des Kaiserreichs in den Blick – so etwa Cécile (1887), Stine (1890), Die Poggenpuhls (1896) und Der Stechlin(1898). Wilhelm Raabe dagegen entdeckte früh den Krieg als Thema seiner Novellen und legte den Schwerpunkt auf historisierende Kriegserzählungen. In Nach dem großen Kriege(1861) und Im Siegeskranze (1866) stellt er die Napoleonischen Kriege ins Zentrum, in Else von der Tanne (1865) und Höxter und Corvey(1879) den Dreißigjährigen Krieg. Mit Die Innerste(1876), Das Odfeld(1888) und Hastenbeck (1899) veröffentlicht er Erzählungen aus der Zeit des Siebenjährigen Krieges. Zeitgenössischen Kriegen dagegen widmet er sich in Deutscher Adel(1878), Villa Schönow(1884) und Kloster Lugau(1893), in denen es um die Zeit vor, während und nach dem Feldzug gegen Frankreich geht. Obwohl sich Genealogie und Typologie von Raabes und Fontanes Kriegserzählungen unterscheiden, gibt es eine grundlegende Gemeinsamkeit: Auch Raabe interessiert sich weniger für die Schlachten des Krieges als für dessen Folgen. In Deutscher Adel ist ein Feldpostbrief des Protagonisten Ulrich eingefügt, in dem er seiner Mutter vom Kriegsgeschehen in Frankreich berichtet. Die einzige unmittelbare Schilderung eines Waffenganges ist denkbar knapp gehalten:»Bum!…bumbum!« 12
Heft  
(2024) 118
Seite
39
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