Heft 
(2024) 118
Seite
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Kriegsgesellschaft Schneider 45 schöne Frau Cécile, es kommt zum Duell. Wichtiger als dessen Ausgang ist Céciles Vorstellung, es werde womöglich als»Wettritt neben dem Eisen­bahnzuge« ausgetragen. 43 Auch wenn in diesem Fall die alte Ordnung siegt St. Arnaud erschießt Gordon so ändert dies nichts daran, dass das Neue längst in die Gesellschaft Einzug gehalten hat. Der fortschrittliche Pastor Lorentzen bringt es in Der Stechlin im Gespräch mit Melusine auf den Punkt: Was einmal Fortschritt war, ist längst Rückschritt geworden. Aus der modernen Geschichte, der eigentlichen, der lesenswerten, verschwin­den die Bataillen und die Bataillone(trotzdem sie sich beständig ver­mehren) und wenn sie nicht selbst verschwinden, so schwindet doch das Interesse daran.[] An ihre Stelle treten Erfinder und Entdecker, und James Watt und Siemens bedeuten uns mehr als du Guesclin und Bayard.­Das Heldische hat nicht direkt abgewirtschaftet und wird noch lange nicht abgewirtschaftet haben, aber sein Kurs hat nun mal seine besondere Höhe verloren[]. 44 Die Veteranen als Vertreter der alten Ordnung werden mit Revolutionen des Verkehrs und der Kommunikationstechnik konfrontiert, die eine Neudefini­tion des Militärischen erfordern. Als die liberale und fortschrittsbegeisterte Melusine mit Rittmeister Woldemar an der Spree entlanggeht und angeregt mit ihm plaudert, werden beide Zeugen eines Feuerwerkes, das historische preußische Schlachten mit ihrem»Knattern« und»Kanonenschläge[n]« nachahmt. 45 Melusine erschreckt sich nicht, sondern beginnt von den Mög­lichkeiten zukünftiger Kriegsführung zu schwärmen, imaginiert»Luftschif­ferschlachten«,»Torpedoboote, Tunnel unter dem Meere«. 46 In diesem Sinne entwerfen Fontanes Texte, allen voran Der Stechlin, einen neuen Soldaten­Typus, der besser zur vernetzten Welt der Moderne passt als die Veteranen der ›Einigungskriege‹. Man könne heute, so ein junger Offizier im Stechlin, keine Karriere in der Armee machen, ohne mindestens drei Sprachen zu sprechen. 47 Die Veteranen mit ihrem Ehrencodex und ihrem Festhalten an herkömmlichen Strukturen müssen mit diesen jungen, zukunftsorientierten Offizieren Kompromisse eingehen das ist der gesellschaftspolitische Sinn des Figuren-Arrangements von Fontanes Stechlin. Fontane, so ließe sich zusammenfassen, reflektiert in seinen Romanen den sozialen Konflikt zwischen Veteranen und jungen Offizieren im Kaiser­reich, gibt ihm aber eine andere, zukunftsgerichtete Deutung. Seine Texte stellen in Aussicht, dass die bellizistische Idee des Kriegshelden die Fon­tane in seinen Preußen-Liedern noch gepflegt hatte eines Tages durch den sozialen und technischen Fortschritt abgelöst und in neue Formen des Mi­litärischen überführt werden wird. 48 Wenige Jahre nachdem die Vetera­nen-Frage Mitte der 1890er-Jahre politisch befriedet wird, imaginiert sein Stechlin eine friedliche Stabsübergabe von altgedienten Kämpfern an jun­ge, moderne Offiziere.