Heft 
(2024) 118
Seite
51
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Kriegsgesellschaft Schneider 51 Sie sagen, seit der Schlacht bei Lutter am Barenberge , allwo der General Tilly und der König von Dänemark aneinander waren, hat sich alles ge­heime Volk in Wasser, Wald und Luft hier in der Gegend mit dem Men­schen überworfen. 83 Bei genauerer Lektüre stellt man fest, dass sich die beiden Begründungen nicht widersprechen. Kriegsführung bedeutet immer auch Naturzerstö­rung. Um die Truppen über den Winter mit Brandholz zu versorgen, roden Preußen und Österreicher den Torgauer Wald; das Militär profitiert von den in den Harz -Bergwerken produzierten Rohstoffen. Geschickt verkop­pelt Raabe die Geschichte der preußischen Kriege mit der Geschichte der Naturzerstörung und fügt damit der Kritik an der bellizistischen Historio­graphie seiner Zeit ein weiteres Element hinzu. Der blutdürstige Charakter des Flusses findet sich in der Figur der Nixe Doris personifiziert. Mit ihr überführt Raabe die romantische Kritik an der Moderne in eine Kritik des Krieges. Doris ist keine sanfte Flussnixe, son­dern wie die Innerste wild und gewalttätig. Sie verbündet sich mit Vaga­bunden und Marodeuren, um sich für das ihr angetane Unrecht zu rächen. Für sie, so der Veteran Jochen, gibt es»keine Zuflucht als die Lagerkame­radschaft, der Krieg mit der Welt bis aufs Messer und was dranhängt an dem Kriege!« Sie passe am besten»auf ein Schlachtfeld«. 84 Dennoch fleht er sie an, die Mühle seines Freundes Albrecht zu verschonen:»habe Sie ein Einsehen und Erbarmen und führe Sie nicht Krieg, wo es nicht vonnöten ist.« 85 Die kriegerische Nixe hat jedoch kein Einsehen. Sie stachelt die Maro­deure an, am Weihnachtsabend die Mühle Albrechts zu überfallen, kommt dann aber bei den Kämpfen ums Leben. Damit hat sich aber die historisch verbürgte Verbindung von Naturzerstörung und Gewalt nicht erledigt. Heute, heißt es am Schluss der Erzählung lapidar, sei die Innerste »regu­liert«, dennoch verlange sie»dann und wann wohl ein Lebendiges zum Fraß«. 86 6. Schluss: Das ›Real-Geheimnisvolle‹ des Krieges Wie der Beitrag zeigen konnte, ist die Auseinandersetzung mit den Folgen von Krieg und Militarismus für die deutsche Gesellschaft ein autoren- und werkübergreifendes Phänomen realistischer Literatur. Zwischen den Kriegsdarstellungen Fontanes und Raabes gibt es strukturelle Parallelen. Die Semantisierung des Krieges in ihren Erzähltexten zeugt von einer un­terschwelligen Kritik am deutschen Bellizismus des späten 19. Jahrhun­derts. Obwohl sie die Reichsgründung befürworteten, bewahrten sie nach 1871 kritische Distanz und blieben im Gegensatz zu Autoren wie Gustav Freytag oder Felix Dahn skeptisch gegenüber Heroismus und nationalem