158 Fontane Blätter 118 Rezensionen Dieser Ausgangsbefund leuchtet unmittelbar ein, ist für die Literatur des Realismus freilich auch nicht ganz neu, was sich in der Reflexion des theoretisch-methodischen Vorgehens(S. 1–30) zeigt, die den Befund der »arrangierte[n] ›Wirklichkeit‹«(S. 26) in eigenen und den in der Forschungsliteratur verwendeten Begrifflichkeiten variierend formuliert, unter anderem als»Kunst an der Schwelle zur Wirklichkeit«(S. 1), dann mit Aust als »Referenzillusion«(S. 1) und»Detailrealismus«(S. 3), mit Grätz als Details, die»zum integralen ›Bestandteil des innerliterarischen Bedeutungsgefüges‹« werden(S. 4, Fn. 21), mit Barthes als»Realitätseffekt«(S. 3). Hinzu kommen Bemerkungen zum Verhältnis von Realität und literarischer Darstellung bei Fontane selbst, die erwartungsgemäß den Pol des Künstlerischen stärker betonen als den der empirischen Realität(S. 6–8), sowie einige knappe Überlegungen zu»Topographien als Kultur(er)zeugnis«(S. 10–12), das heißt als sedimentierte»symbolische[] Ordnungen«(S. 11) und Semantiken. Gerade die neuere kulturwissenschaftliche Raumforschung kommt der Ausgangsthese Schellstedes dabei insofern entgegen, als auch diese davon ausgeht, dass»an räumlichen Strukturen das abgelesen werden kann, ›was von selbst nicht sichtbar ist‹«(S. 12). Für eine Beschäftigung mit den topographischen Details in Fontanes Roman L´Adultera spricht für Schellstede schließlich auch Fontanes Schreibprozess, in dem»Skizzen und Zeichnungen der jeweiligen Schauplätze« sowie»akribische[] Ortsschilderung[en]«(S. 9) eine wichtige Rolle spielen; und schließlich kann sie den von Fontane selbst gepflegten Topos vom» Karten mensch[en]«(S. 12–18) als weiteres Indiz anführen, das für eine genauere Analyse der in seinen Romanen entwickelten Topographien und ihrer doppelten Funktion spricht. Diese Doppelfunktion fasst Schellstede selbst in den Binarismus von »vordergründiger und hintergründiger Bedeutung«(S. 4), eine Terminologie, die nicht ganz glücklich gewählt scheint, denn es geht ihr doch gerade um das Zusammenspiel von raumrealistischen Bezügen und deren Einbindung in erzählerische Strategien und nicht um so etwas wie das Eigentliche hinter den vermeintlichen Realitäten. Hilfreich hätte hier vielleicht die literaturwissenschaftliche Raumanalyse Jurij M. Lotmans sein können, die es mit ihrer Unterscheidung von topographischen(empirisch vorhandenen) und topologischen(literarisch überdeterminierten) Räumen erlaubt hätte, die Differenzierung in ›vordergründige‹ Realismusbezüge und ›hintergründige‹ Bedeutungen genauer zu fassen. Betonen einige der referierten Forschungsarbeiten aus Literatur- und Kulturwissenschaft sowie aus der Raumforschung den Realismusaspekt stärker als den der literarischen Konstruktion und stellen andere das literarische Artefakt über die vermeintlich wiedererkennbaren Raumdetails, so sucht Schellstede eine integrierende Position einzunehmen, die beide Aspekte gleichermaßen berücksichtigt, was nicht gänzlich neu ist. Womit die Dissertation jedoch über bereits vorliegende Arbeiten hinausgeht, das ist
Heft
(2024) 118
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158
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