Heft 
(2024) 118
Seite
161
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Die daheim blieben  Muhs 161 schierenden SA-Stoßtrupp, Gebrüll vom ›Judenblut, das vom Messer sprit­zen‹ soll. Während der junge Max das Spektakel als»echten deutschen Volkshumor« bespöttelt, nimmt sein alter Onkel Martin es ernster. Er kön­ne»keinen Humor in so etwas finden« und werde»das nicht weiter hier mitmachen«.(S. 20) Eher verlegen als überlegen macht ihn auch die weg­werfende Bemerkung seines Bruders Arthur, die SA-Kaserne in der Nähe sei im Grunde nichts»als ein homosexuelles Bordell«. Schnell wechselt die­ser daher das Thema:»Na, nun wollen wir mal langsam heraufgehen, Max wir sind schon die letzten, denke ich Aber ich komme zu all solchen Dingen lieber zu spät, als zu früh. Der olle Fontane da drüben, Du kann­test ihn doch noch, Martin?! Naja naja Du warst ja damals, wie er starb, auch schon an die sechssiebenunddreißig Jahre so hat wieder mal für mich das erlösende Wort gesprochen: ›Mir fehlt das Gefühl für Feierlich­keit.«(S. 24 f.) Was an anderer Stelle von Onkel Martin gesagt wird, nämlich dass er »überhaupt gern zitierte, und besonders gern Fontane«(S. 37), trifft auch auf Georg Hermann (1871–1943) selbst zu. Von Zeitgenossen oft als»Statt­halter von Fontanopolis« apostrophiert, darf er als erfolgreichster Reprä­sentant des Berlin -Romans während der ersten Jahrzehnte des 20. Jahr­hunderts gelten, literaturhistorisch gesprochen also zwischen Fontane und Döblin . 1 Was ihn jedoch in der Stoffwahl von beiden unterscheidet, ist der Umstand, dass seine Bücher vornehmlich im jüdisch-liberalen Bürgertum der Reichshauptstadt spielen. Die daheim blieben sollte den Untergang dieses Milieus unter dem Druck des Dritten Reiches schildern. Konzipiert waren vier lose miteinander ver­bundene, aber in sich geschlossene Teile, die jeweils eine Momentaufnahme des Simonschen Familiennetzwerks im Schatten der Großen Politik darstel­len sollten. Das erste Bild illustriert ihre Befindlichkeit an einem Sonntag kurz nach den Reichstagswahlen vom 5. März 1933, das zweite an jenem Septemberwochenende 1935, als die»Nürnberger Gesetze « verkündet wur­den. Die Reaktion von nach Italien emigrierten Familienangehörigen bei Erlass der faschistischen Rassengesetze im September 1938 hätte im drit­ten Teil behandelt werden sollen und im vierten das Ende derer,»die da­heim blieben« unter dem Eindruck der»Kristallnacht « zwei Monate später. Fertiggestellt worden sind nur die beiden ersten Teile. Vom dritten Ab­schnitt existieren einige Fragmente von insgesamt etwa 40 Seiten, die im Anhang abgedruckt sind, während der vierte in Gänze ungeschrieben ge­blieben ist. Der mittlerweile 74-jährige Heinrich Simon, so lässt sich aus brieflichen Mitteilungen des Autors entnehmen, würde unter dem Schock des Novemberpogroms an einem Herzschlag versterben und seine Frau Agnes sich daraufhin das Leben nehmen. Im Schlaglicht, das an den besagten Tagen auf Personal und Lokal fällt, zeigt sich eindringlich, wie die Welt der Kernfamilie zwischen 1933 und