Heft 
(2024) 118
Seite
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162 Fontane Blätter 118 Rezensionen 1935 langsam enger geworden ist, sowohl räumlich(die alten Simons müs­sen ihre Wohnung verkleinern) wie hinsichtlich des sozialen Umfelds. Aus­wanderung und das Abbrechen von Kontakten zu»arischen« Nachbarn und Geschäftspartnern resultieren in zunehmender Isolierung. Das deutsch -jüdische Milieu als integraler Bestandteil der Berliner Gesell­schaft, wie Georg Hermann es persönlich erlebt und literarisch gestaltet hatte, war also längst Geschichte, bevor der Holocaust im engeren Sinne auch nur vorstellbar wurde. Die beiden ersten Teile des Romans lagen näm­lich bereits Ende 1939 abgeschlossen vor, und die Arbeit am dritten begann der Autor, der gleich 1933 nach Holland emigriert war, im Februar 1940. Nach der deutschen Besetzung der Niederlande drei Monate später sollten sich seine Lebensumstände und Arbeitsbedingungen dann rapide ver­schlechtern. Die Verdrängung des deutsch -jüdischen Elements aus Berlin , deren Stadien und Folgen er am Beispiel der fiktionalen Familie Simon ver­anschaulichen wollte, erwies sich als bloße Etappe auf dem Weg zum Holo­caust. Dessen Realität sollte jede Fiktion überholen und verhinderte es, dass Georg Hermann seine Geschichte zu Ende erzählen konnte. Im Juni 1943 wurde er zunächst in das Durchgangslager Westerbork deportiert und von dort aus wenige Monate später nach Auschwitz in den Tod. Vom Aufbau her erinnert Die daheim blieben insofern an Fontane , als der Roman vergleichsweise handlungsarm und dafür reich an Gesprächen ist, im zweiten Teil situationsbedingt mit einem längeren Selbstgespräch. Andererseits dreht sich alles nur um ein Thema, die aktuelle Lage und wie man sich dazu verhalten soll.»Ja, dürfen die denn das überhaupt?«, diese naive Frage, in Variationen mehrfach wiederholt, wird bezeichnenderweise einer Frau, Heinrich Simons Gattin Agnes, in den Mund gelegt. Was die Männer beizutragen haben, gibt sich durchdachter, obgleich es zu keiner Verständigung kommt. Zionismus und Kommunismus, die beiläufig ins Ge­spräch gebracht werden, stoßen als Option ebenso auf Skepsis wie der Ab­wiegelungsversuch eines angesehenen Arztes, der vor versammelter Ver­wandtschaft erklärt:»Der Deutsche kann bei so etwas eine Weile mitlaufen. Aber auf die Dauer ist er ja Gottlob doch nicht dumm genug dazu!«»Du irrst dich!«, lautet die Reaktion darauf:»Kennst du Fontane? In Deutschland heißt es doch schon von je: ›Das Gemeine hat immer den Vortritt!«(S. 129) Diese Gewissheit ist es, die Onkel Martin unter Bezugnahme auf das Wort vom Borussismus als der niedrigsten Kulturform, die man kenne, im weite­ren Verlauf ausrufen lässt:»›Früher statuierte ich Ausnahmen, heute kaum noch! schreibt der olle Fontane zwei Tage vor seinem Tod. Und diese ewige Einbildung von der deutschen Überlegenheit und Herrlichkeit. Woanders lernen die Leute auch Lesen und Schreiben und Polizei gibt es überall. ›Was soll der Unsinn. Das schreibt er auch«(S. 169) Dass eine Atmosphäre von Melancholie und Resignation über dem Ro­man liegt, ist allerdings nicht allein dem Sujet geschuldet, sondern kenn-