164 Fontane Blätter 118 Rezensionen nämlich»stilistische Unebenheiten … durch sorgfältige Überarbeitung zu glätten«.(S. 436) Auch unvollendet und unpoliert darf das Werk jedoch als wertvolle Bereicherung der Exilliteratur gelten, mehr noch vielleicht seiner historischen Zeugenschaft als seiner literarischen Gestalt wegen. Dass Fontane zu den Lieblingsschriftstellern jüdischer Leser gehörte, ist vielfach bezeugt und war dem Dichter selbst auch sehr wohl bewusst( Kommen Sie, Cohn!). Dabei hegte er zugleich deutliche Vorbehalte gegenüber Juden, was Georg Hermann wiederum nicht unbekannt war. Trotzdem wird Fontane geradezu selbstverständlich gegen das Dritte Reich in Stellung gebracht. Eine Romanfigur aus der weiteren Familie Simon versteigt sich, unter Durchmusterung der Literatur aus jüngerer Zeit, sogar zu der Behauptung,»dass mit wenigen Ausnahmen überhaupt die besten Schriftsteller Deutschlands Nichtarier oder Nichtdeutsche seien, wie Fontane , der keinen Tropfen deutschen Bluts in den Adern hätte«(S. 343). Insofern dürfte es als imaginierte Rückabwicklung der Familiengeschichte des Dichters zu verstehen sein, wenn der prononcierte Fontane-Liebhaber Onkel Martin im zweiten Teil des Romans, also gedacht 1935, bereits als nach Südfrankreich ausgewandert figuriert. Und was Berlin betrifft, so entfährt es dem zurückgebliebenen Heinrich Simon beim Gang durch ein von Juden verlassenes Wohnviertel:»›Gott ist die Gegend heruntergekommen!‹(Denn Martin hatte seinen jüngeren Bruder doch etwas mit dem Fontane-Fimmel angesteckt. So etwas färbt ab.)«(S. 225) Wie der historische Fontane auf die nationalsozialistische Judenverfolgung reagiert hätte, können wir nicht wissen. Dank seines vorzeitigen Todes blieb ihm die Probe aufs Exempel erspart. Aber dass sich jemand wie Georg Hermann diesbezüglich sicher war, ist immerhin bemerkenswert. Rudolf Muhs Anmerkungen 1 Vgl. dazu meinen Beitrag: Der »jüdische Fontane«. Anmerkungen zu Georg Hermann (1871–1943). In: Fontane Blätter 109(2020), S. 79–102. 2 Arnold Paucker: Zur Geschichte von Georg Hermanns Nachlaß. Ein Geleitwort. In: Godela Weiss-Sussex (Hrsg.): Georg Hermann. Deutsch-jüdischer Schriftsteller und Journalist, 1871–1943. Tübingen 2004, S. 133–36.
Heft  
(2024) 118
Seite
164
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