172 Fontane Blätter 118 Informationen Schließlich wurde am Gegenstand von Grete Minde untersucht, wie die Raumgestaltung das psychische Leid und den bevorstehenden Wahnsinn der Protagonistin über Jahre hinweg vorhersagt und weitreichende räumliche Konzepte wie Enge und Ferne sich darin bündeln. Der letzte Teil des Vortrags widmete sich dem Aspekt der Funktionalisierung und legte dar, wie Fontane das Handlungsgeschehen proleptisch durch Raumdarstellungen vorwegnimmt. In Irrungen, Wirrungen wird beispielsweise das Ende der Beziehung zwischen Botho und Lene durch Details ihrer Wohnumgebungen angedeutet, in Unterm Birnbaum verdeutlichen Raum-Zeit-Beziehungen und topologische Anordnungen die Unausweichlichkeit, mit der die Protagonist*innen mit den Konsequenzen ihrer Handlungen konfrontiert werden, und in Grete Minde verbinden sich Vergangenheit und Gegenwart durch zentrale Orte und wiederkehrende Motive von Feuer und Zerstörung, wodurch das verhängnisvolle Ende der Protagonistin vorausgesagt wird. Carina Nelleßen, Wuppertal »Ach, es ist zum Aergern[…]. Bevormundung, wohin ich sehe«: Ablösungsdynamiken in der Beziehung von Müttern zu ihren erwachsenen Kindern als Problem in Fontanes Romanen Im Zentrum meines vorgestellten Forschungsprojekts stand die Untersuchung der Beziehungen von Müttern zu ihren erwachsenen bzw. spätadoleszenten Kindern in Werken Theodor Fontanes, insbesondere in den Romanen Effi Briest , Mathilde Möhring und Frau Jenny Treibel. Konkret ging es dabei um die Analyse der Ablösungsdynamiken erwachsener Kinder von ihren Müttern und damit um ein Thema, das im bürgerlichen Familienideal und in den zeitgenössischen Diskursen des Kaiserreichs wenig beachtet wurde. Fontane zentralisiert und problematisiert diese Ablösungsprozesse literarisch und bietet somit einen neuen Blickwinkel auf familiäre Strukturen und die Ablösung von der Mutter als Herausforderung im Übergang vom Jugend- ins Erwachsenenalter und zur Selbstständigkeit. Diese kritische Phase der Ablösung von den Eltern wird erst ab der Jahrhundertwende mit der Herausbildung der Psychoanalyse und der Entwicklungspsychologie diskursiviert, was einmal mehr das wegweisende Potenzial von Fontanes Werke unterstreicht. Wie dargestellt wurde, können besonders aussagekräftige Analyseergebnisse von der Ausgestaltung der dyadischen Beziehungen und der Darstellung von Ablösungsdynamiken mittels eines erzähltheoretischen Zugangs zur Figurenanalyse und Figurenkonstellation herausgearbeitet werden. Am Beispiel von Frau Jenny Treibel und der Beziehung zwischen Jenny Treibel und ihrem Sohn Leopold wurde auf Grundlage dieser Vorüberlegungen untersucht, wie Fontane die Mechanismen der Kontrolle und Manipulation durch die Mutter sowie die daraus resultierende Abhängigkeit des Sohnes aufzeigt. Leopold wird narrativ als passive Figur dargestellt, deren Versuche zur Selbstbestimmung immer wieder scheitern. Fontane setzt verschiedene narrative Mittel ein, um Leopolds fehlende Autonomie und Jennys dominierende Präsenz zu verdeutlichen. Zur Schwächung von Leopolds Autonomie nutzt Fontane etwa das Simultanerzählen, eine passive Figureneinführung, die ständige Stilisierung Leopolds zum Kind durch das Figurenpersonal, Diskrepanzen zwischen Leopolds verbal angekündigten Ablösungsversuchen und
Heft  
(2024) 118
Seite
172
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