Teil eines Werkes 
Bd. 2, Teil 3 (1912) Die Kunstdenkmäler von Stadt und Dom Brandenburg / unter der Schriftl. des Theodor Goecke bearb. von Paul Eichholz. Mit Einl. von Willy Spatz und Friedrich Solger
Entstehung
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XLVIII
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XL VMllII Stadt und Dom Brandenburg .

21 Dörfern des Havellands ſowie des Kreiſes Zauche-Belzig. Manches hat das Kapitel veräußert, ſo 1873 die Gerechtſame an dem See bei Pritzerbe , demſelben Ort, der ſchon in der Gründungsurkunde von 9148 genannt war. Trotzdem iſt alles in allem für das Kapitel die zähe Ueberlieferung, das Beharren charakteriſtiſch im Gegenſatze zu dem bürgerlichen Gemeinweſen.

Städtiſche Induſtrie und Stadterweiterung.

In der Stadt, die ſeit 1846 Eiſenbahnverbindung beſaß, entwickelte ſich induſtrielle Tätigkeit im 19. Jahrhundert nicht in der Art, daß in einem Zweige, etwa wie in Cottbus , ein ununterbrochenes Aufſteigen zu verzeichnen geweſen wäre. Iſt ja doch die Zahl der in Webereien, Färbereien, Appreturen und Bleichereien beſchäftigten Arbeiter von 1170 im Jahre 1860 auf etwa 350 zurückgegangen. 1840 hatte man wohl hier den erſten Verſuch ge­macht, die Jacquard⸗Maſchine bei der Wollenweberei einzuführen, und leichte wollene Stoffe nicht allein auf den deutſchen Meſſen, ſondern auch in Holland und der Schweiz , ſogar in Amerika abgeſetzt.) Doch waren auch dieſe vielverſprechenden Anfänge nicht nachhaltend, und heute ſtehen Maſchinen⸗, Fahrrad⸗, Werkzeug⸗, Automobil⸗, Blechſpielwaren⸗ und Kinderwagenfabriken an der Spitze. Durch die Waſſerläufe begünſtigt, iſt eine Schiffswerft entſtanden, und auch die Jute- und Kammgarnſpinnerei hat ſich ent wickelt. In der Altſtadt ſind freilich viele Bewohner der Landwirtſchaft treu geblieben, treiben aber mehr Gemüſezucht als Ackerbau.

Im Jahre 1820 trat an die Stelle der Akziſe eine bis 1875 in Kraft gebliebene Mahlſteuer von 2 Mark für den Zentner Weizen und%, Mark für den Zentner Roggen und Gerſte ſowie eine Schlachtſteuer von 3 Mark für den Zentner; der Gemeinde war geſtattet, eine Erhöhung bis zu 50 9 zur Deckung ihrer Bedürfniſſe eintreten zu laſſen. Damit war dem Niederreißen der Befeſtigungswerke Tür und Tor geöffnet, da die Regierung nicht mehr wie ehedem auf die Erhaltung eines Gürtels rings um die Stadt herum Wert zu legen brauchte. Ein durchgehender Charakterzug in der Ge ſchichte der märkiſchen Städte zeigt ſich alſo auch hier. Und ähnlich wie z. B. in Frankfurt wurde hier 1824 der Wall vom Plauer bis zum Rathenower Tor bepflanzt. DieKommunikation genannte ſchmale Straße zwiſchen der Mauer und der inneren Stadt, einſt zur Verhütung von Deſertionen und Akziſedefraudationen von großer Wichtigkeit, war ſchon ſeit 1821 von der Stadt den angrenzenden Beſitzern in Erbpacht überlaſſen worden; an einzelnen Stellen, beſonders zwiſchen Annen- und Steintor, wurde ſogar die Mauer ſelbſt verkauft. Zwiſchen dem Plauer und dem Rathenower Tor legte man 1884 die ganze Stadtmauer nieder, und hier entſtand die Wallſtraße. So wurde der Stadt das Herauswachſen über ihre mittelalterlichen Grenzen erleichtert. Die Große Garten­ſtraße wurde infolge der 1846 vollendeten Erbauung der Potsdam Magdeburger Eiſenbahn über den Trauerberg hinaus verlängert. 1854 begann die Bebauung der Kleinen Gartenſtraße, drei Jahre darauf die Anlage der Vereinsſtraße in der Altſtadt

1) Berghaus, Neues Landbuch Il, 25; Dullo S. 288 ff.