Teil eines Werkes 
Bd. 2, Teil 3 (1912) Die Kunstdenkmäler von Stadt und Dom Brandenburg / unter der Schriftl. des Theodor Goecke bearb. von Paul Eichholz. Mit Einl. von Willy Spatz und Friedrich Solger
Entstehung
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LXXII
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LXXIL} Stadt und Dom Brandenburg .

Volk zu ihnen gekommen, um ihre flammenden, befreienden Worte zu hören und ihnen Gaben zu ſpenden. So gelang es ihnen ſchließlich im Laufe des 15. Jahrhunderts, ſich eine ſtattlichere und allmählich auch an äußerem Umfange zunehmende Kirche zu errichten; zunächſt wieder nur einen einſchiffigen Raum mit geradem Oſtſchluß auf den Reſten ihres früheren Predigtſaales, der aber im Maßſtab der Fenſter, in den Gewölben und der Portalanlage auf der Nordſeite den veränderten Verhältniſſen und der neuen Bauweiſe Rechnung trug. Das Hauptſchmuckſtück der Kirche, die große Maßwerkroſe über dem Portale, zeigt, was man inzwiſchen an techniſcher Fertigkeit erreicht hatte.

Gleichfalls auf der Nordſeite der Kirche finden wir im Innern die Reſte des Auf­ſtiegs zur wichtigſten Einrichtung der Franziskaner : der Kanzel. Es war der bei den Minoriten übliche Platz dafür: unweit der Mitte der nördlichen Langſeite. An dieſer Stelle zeigt noch heute eine kleine Spitzbogentür in Obergeſchoßhöhe den Zugang dazu an. Hier befand ſich der Redner annähernd inmitten der Hörer und wurde auf ſeinem hohen Standorte von allen geſehen. Dennoch hatte dieſe Kanzel im eigentlichen Sinne nichts bühnenartiges und erſcheint hier zum erſten Male völlig getrennt vom Prieſterraum.

Die ſpäteren Erweiterungen und Zuſätze der Kirche, das Seitenſchiff mit Portal und Roſe, der ſchlanke Turm und der ſchöne neuartige Chor in ſieben Seiten des Zehnecks ſind Zeichen dafür, daß der Orden in Brandenburg gedieh. Überdies zeigen ſie freilich, daß die Strenge ſeiner auf äußerſte Sparſamkeit und Schlichtheit gerichteten Bauvorſchriften auch bei ihm ſchließlich nachließ. Der Chor dieſer Form iſt eine typiſche Erſcheinung einer kleinen Gruppe von Franziskanerkirchen, zu welcher außer der Ordenskirche in Brandenburg die von Berlin und Stettin gehören; vielleicht iſt darin eine Erinnerung an die Chorausbildung der Oberkirche von San Francesco zu Aſſiſi ausgeprägt.

Das Konſtruktionsprinzip der Hochgotik, den Gewölbeſchub durch äußere Strebe­pfeiler aufzufangen, tritt zum letzten Male in ausgeſprochener Anwendung, ja in einer gewiſſen ſtarren Übertreibung an der 1443 errichteten Schwanenordenskapelle der Marienkirche auf. Der Aufwand an Maſſe in ihren Pfeilern, welche dichtgedrängt die Kapelle umſtehen und den Fenſtern das Licht abſperren, ſtellt dieſen Anbau mit ſeiner gewaltſamen Vertikalgliederung in ein recht ungünſtiges Verhältnis zu dem fein durchdachten, ſich in ruhigen Maſſen aus dem Boden erhebenden Hauptbau. Die formal ausgereifte, aber unkünſtleriſch angewendete Hochgotik bleibt hier weit hinter dem Werke der Übergangszeit zurück.

Die daran hervortretenden Mängel fallen dadurch um ſo ſchwerer ins Gewicht, daß bereits Jahrzehnte früher der glanzvolle Neubau der Neuſtädter Pfarrkirche durch Weiterentwicklung des Bauſyſtems der Bergkirche das Mittel zu ihrer Vermeidung an die Hand gegeben hatte.

In der mannigfaltigen, faſt alle Haupttypen von Grundrißgeſtaltungen umfaſſenden Reihe der Kirchenanlagen Brandenburgs bilden die neueren Umgeſtaltungen der beiden Pfarrkirchen von etwa 1401 und 1475 die letzte Stufe der Entwicklung. Die weiträumige Hallenform kommt hier zu ihrer ſtattlichſten Entfaltung, die Unterſchiede von Chor- und Laienkirche ſind völlig ausgeglichen, an ein Querſchiff wird