Teil eines Werkes 
Bd. 2, Teil 3 (1912) Die Kunstdenkmäler von Stadt und Dom Brandenburg / unter der Schriftl. des Theodor Goecke bearb. von Paul Eichholz. Mit Einl. von Willy Spatz und Friedrich Solger
Entstehung
Seite
LXXIX
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Kunſtgeſchichtliche Überficht. LXXIX

kaum zu urteilen iſt. Indeſſen find die etwas pygmäenhaften Geſtalten in ziemlich ungleicher Verteilung, teils in ruhiger Reihung, teils in ſehr lebhaft bewegten Gruppen aneinandergeſchloſſen.

Am Fuße der Taufe und an den Kämpfern der Weſtteile des Domes tritt uns eine auffallende Vorliebe für das Leben der Tiere und die Tierfabel entgegen, vermutlich die neuere Entwicklungsform der früheren Neigung für ſymboliſche Tiergeſtalten und Grotesken, alſo ein Fortſchritt von der ſtiliſierten zur naturaliſtiſchen Tierfigur, vom Fabeltier zur fabelnden Erzählung aus der Tierwelt. Über die zahlreichen Abſtufungen der Gewände des Weſtportals ziehen ſich in flotter Meißeltechnik und nicht unz geſchickter Anordnung die Fabelſzenen hin, deren verſtändlichſte die böſen J. Meiſter Reineckes bilden.

Wohl aus der Zeit des Neubaus der Katharinenkirche ſtammt das ſtark er habene Steinrelief mit Maria und mehreren Heiligen(Taf. 22) in der dortigen Fronleichnamskapelle. Es bildet eine ſchlichte Aneinanderreihung von fünf Standfiguren in einer uns nicht mehr durchweg verſtändlichen Auswahl und iſt wohl als ein Altar retabulum anzuſehen. Als ſolches würde es in Brandenburg einzig daſtehen, da alle anderen Altäre der Stadt aus Holz gearbeitet ſind. Die Steinarbeit wurde in Branden­ burg zu wenig gepflegt, um hervorragende Leiſtungen zu zeitigen, und ſo ſteht auch dieſes Retabulum nicht gerade auf hoher Stufe. Die welligen Tütenfalten, welche von jedem der zehn Arme herabhängen, geben der Gewandung einen Anflug von Manier. Schematismus verdirbt auch die Haltung der beiden weiblichen Heiligen, deren Köpfe dick und pausbackig erſcheinen. Den beiden männlichen Geſtalten Auguſtinus und Benediktus ihre hohe Bedeutung für die Kirche vom Angeſicht abzu leſen, hält ſchwer. Alle ſind derbe Erſcheinungen ohne Adel in Haltung und Ausdruck.

Dennoch iſt das Relief als einziges ſeiner Art in Brandenburg ein ſchätzenswertes Beiſpiel für die Entwicklung des Altaraufbaus aus dem ſteinernen Retabelaltar zum geſchnitzten Flügelſchrein.

Ahnlich verhält es ſich mit den allein noch übrig gebliebenen beiden Figürchen vom Äußeren der Kirche(Abb. 34), deren wenig naturwahre Verhältniſſe wohl mit Bewußtſein auf ihre dekorative Wirkung in den Pfeilerniſchen berechnet waren. Ver­wandte Abſichten ſowie techniſche Gründe wirkten außer dem Streben nach ſtraffer monu­mentaler Erſcheinung ſicher auch bei der hageren Geſtaltung der Rolandfigur mit.

Fehlt bei dieſen vereinzelten Leiſtungen für die verſchiedenſten Zwecke die Möglich­keit zu Vergleichen und damit zur Schätzung der Fortſchritte, ſo bietet ſich hierfür ein um fo günſtigeres Gebiet in den Grabſteinen und ſteinernen Epitaphien, deren Be­trachtung in zuſammenhängender Folge ſich daher empfiehlt.

Die mittelalter lichen Grabſteine enthalten faſt alle als Hauptgegenſtand der Darſtellung die ganze Figur des Verſtorbenen, in der Frühzeit, bis 1380, nur in ſchlichten

eingeritzten Linien, ſpäter plaſtiſch. Die Grabſchrift umzieht bis gegen Mitte des 17. Jahr­hunderts den Stein, bis 1380 noch in gotiſchen Majuskeln, dann in Minuskeln, ſchließ­lich in römiſchen Majuskeln. Bei dem älteſten Grabſteine, dem des Kanonikus Peter von Thure(F 1281), tritt das ſchwer zu unterdrückende Streben nach ſtiliſtiſch­