Teil eines Werkes 
Bd. 2, Teil 3 (1912) Die Kunstdenkmäler von Stadt und Dom Brandenburg / unter der Schriftl. des Theodor Goecke bearb. von Paul Eichholz. Mit Einl. von Willy Spatz und Friedrich Solger
Entstehung
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Kunſtgeſchichtliche Überficht. LXXXI

Vermögens finden. Wollen und Können find nun ing Gleichgewicht gefommen und die Fülle des fachlichen Inhalts beeinträchtigt nicht mehr die Abklärung zu einer vollbefriedigenden Kompoſition. Klar tritt hier auch die gegen das Mittel alter völlig veränderte Geſinnung und religiöſe Anſchauung hervor. In der Be­geiſterung für die kunſtvolle Ausſchmückung des Gotteshauſes wie zur Verherrlichung des Verſtorbenen erſcheint ſelbſt fürſtlicher Aufwand nicht zu hoch. Der Stein ſoll auch nicht nur das Andenken eines Einzelnen bewahren, wie es bei römiſch⸗kirchlichem Weſen der mittelalterliche Grabſtein tat. Hier kommt vielmehr mit der reformatoriſchen Geſinnung, mit der neu entfachten und geſtärkten evangeliſchen Glaubenskraft, die Zuſammengehörigkeit der Familie zu innigem und zuverſichtlichem Ausdruck. In voller Zahl und Lebensgröße reihen ihre Mitglieder ſich, nach Geſchlechtern geſondert, hintereinander, alle anbetend die Knie gebeugt vor den heilbringenden Vorgängen aus Chriſti Leben, welche der großartige Aufbau der Rückwand in ſeinen Niſchen umſchließt.

Welch reiche Blüte der Kunſt erſchließt ſich hier um die Wende des 16. Jahrhunderts: man ſchwelgt in der wiedergewonnenen und nach eigenem Gutdünken umgeſtalteten antiken Formenwelt, in der ſich der Künſtler bald frei und ſicher bewegt. In ſchier unerſchöpflich ſcheinender Überfülle ſchüttet die neue Kunſt ihre edelſten Gebilde über das Werk aus. Gegenüber dem kindlichen Durcheinander des Trebawſchen Epitaphs(Abb. 12) ſehen wir jetzt die Architektur in klarer Trennuung von der Figurenplaſtik in ſchön gegliedertem Aufbau der Schweſterkunſt einen feſten Rahmen für ihre Reliefdarſtellungen bieten. Dieſe ſelbſt nimmt im Figürlichen einen gewaltigen Aufſchwung. Ein halbes Jahr­hundert des mittelbaren Studiums der Antike, an welchem namentlich den Holländern ein großer Anteil zukommt, hat Wunder der Vervollkommnung geſchaffen. Ohne irgend welche ſchablonenhaften Körperausbiegungen, wie ſie der Gotik ſo oft anhafteten, bewegen ſich die Geſtalten frei in naturwahrer Haltung und ſelbſtbewußter Schönheit. Mehr und mehr ſpricht das Individuelle aus den vom ſeeliſchen Ausdruck belebten Geſichtern. So unverhohlen dieſem und den verwandten Werken die dekorative Ab; ſicht zugrunde liegt, wird durch ſie doch nirgends die Schönheit und Wahrheit des Einzelnen beeinträchtigt.

Zu der unendlichen Formenfülle tritt ſchließlich noch ein Wechſel in den Farben durch Anwendung verſchiedener Materialien, wie bei dem fein gegliederten Epitaph des Adam von Königsmarck (F 1621). Bedenkt man freilich, daß bis in die Renaiſſance hinein eine mehr oder weniger durchgeführte Polychromierung derartiger Steinarbeiten üblich war, ſo iſt der jetzt eintretende Wandel vielmehr als eine Vereinfachung der farbigen Wirkung, als eine Geringſchätzung des Pigments und ſein Erſatz durch natürliche Materialfarbe aufzufaſſen. Leider kommt man dabei über ſchwarz, grau und weiß kaum hinaus und ſomit eigentlich nicht recht zur Farbe ſelbſt, und es währt nicht gar lange, ſo hat ſich der Übergang zur vollen Einfarbigkeit oder Farbloſigkeit vollzogen.

Gleichen Schritt mit dieſem Streben nach beruhigter Wirkung hält eine vornehme Dämpfung des Reliefs bei einigen Grabſteinen von Domherren aus der

Kunſtdenkm d. Prov. Brdbg. II. 3. Stadt und Dom Brandenburg . VI.