Teil eines Werkes 
Bd. 2, Teil 3 (1912) Die Kunstdenkmäler von Stadt und Dom Brandenburg / unter der Schriftl. des Theodor Goecke bearb. von Paul Eichholz. Mit Einl. von Willy Spatz und Friedrich Solger
Entstehung
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176 ER Stadt Brandenburg .

Stützenpaar, bezw. dieſes wirkte auf die Fenſter zurück und bedingte deren rhyt­miſche Gruppierung.

Das Gebäude erinnert durch ſeine Raumgeſtaltung ſtark an die anderwärts für Rat⸗- und Kaufhäuſer vorkommende Bezeichnung theatrum. Es war für eine Kauf­halle wie für einen Feſtraum gleicherweiſe geeignet.*)$

Im langen freien Mittelraum, ſowie in den Ständen unter den Galerien bot ſich Platz in Fülle zur Ausſtellung von Waren aller Art, ja ſelbſt oben auf den Rängen für zierlichere Erzeugniſſe des Gewerbefleißes. Bei Spiel- und Tanzbeluſti­gungen aber umkränzte den feſtlich geſchmückten Saal auf den Galerien die Blüte der Bürgerſchaft in ihren farbigen Feſtkleidern, die Ratsverwandten vielleicht auf den bevorzugten Plätzen an der Turmſeite. Gegenüber am hinteren Ende des Saales ließen vermutlich die Muſikanten von hoher Empore herab ihre Pfeifen und Zinken ertönen. Hier oben hatte man den vollen Eindruck des Ganzen. Welch ein Raum! welch eine herrliche, wohldurchdachte, prächtig angelegte Feſthalle! eines beſſeren Geſchickes wert, als ihr geworden iſt..

Dieſer z. T. recht aufwendige ſpätgotiſche Rathausbau hat in den Stilformen große Verwandtſchaft mit der i. J. 1470 erbauten Schloßkapelle zu Zieſar und ge ſtattete daher die bereits oben angegebene gleiche Zeitſtellung. Das Rathaus diente ſeiner urſprünglichen Beſtimmung bis zum Jahre 1715. So lange hatte es wohl auch ſeinen mittelalterlichen Charakter bewahrt, nur daß ſein Turm inzwiſchen eine geſchweifte Haube mit offener Laterne erhalten hatte, wie wir ihn noch um 1740 auf einem älteren Stadtbilde dargeſtellt finden(vgl. Kolb a. a. O. S. 7 und ebenda Abb. 15). Nach der Vereinigung der beiden ſtädtiſchen Verwaltungen und deren Verlegung in das Neuſtädter Rathaus i. J. 1718 ſtand es lange Zeit unbenutzt. Im Jahre 1753 wurde das Gebäude auf Veranlaſſung König Friedrich II. für die darin zu errichtende ſtaatliche Parchentfabrik eingerichtet. Bei dieſer Gelegenheit ge­ſchah es wohl, daß es in der rohen und rückſichtsloſen Weiſe mißhandelt wurde, die ſeinen jetzigen traurigen Zuſtand hauptſãächlich herbeiführte. Die Balkenlagen wurden behufs Vermehrung der Stockwerke verlegt, die gotiſchen Bogen, Fenſter und Türen vermauert und dafür viereckige Öffnungen eingebrochen, Geſimſe zerſtört und die feinen Maßwerkzierate mit Mörtel verſchmiert. In dieſem Zuſtande ging es i. J. 1818 in den Beſitz des Juſtizfiskus über und diente als Geſchäftshaus des Königl. Land⸗ und des Stadtgerichts. Vermutlich ſind bei dieſem Übergange eine Anzahl Schorn­ſteine angelegt. Im Jahre 1826 wurde die gegenwärtig noch vorhandene Endigung des Turmes(Abb. 98) von der Uhr an neu aufgeführt. Sie bildet wohl für Brandenburg den erſten Verſuch einer Wiederaufnahme der alten Backſteingotik.

) Stiehl, der(a. a. O. S. 116) wie Kolb die nordöſtliche Hälfte des Hauſes durch eine mittlere Quermauer abgeteilt und nur ſie als bis zur Decke durchgehend annimmt, iſt geneigt, dieſen Raum für den einſtigen Sitzungsſaal des vereinigten Brandenburger Schöppenſtuhls zu halten;

indeſſen ſtand dieſer bis zum Jahre 1700 auf der Langen Brücke. überdies bedurfte die geringe Zahl ſeiner Mitglieder nicht eines ſo großen und hohen Raumes.