(1878) die bürgerliche Gleichstellung der rumänischen Juden durchgesetzt. Einen Prüfstein für Bismarcks Gesinnung bildete die Petition, die der Abgeordnete Förster, der Schwager von Friedrich Nietzsche, in Umlauf setzte, gipfelnd in der Forderung: der Reichstag wolle die Aufhebung der den Juden gewährleisteten bürgerlichen Gleichberechtigung beschließen. Hunderttausende setzten ihre Unterschrift unter das Schreiben. Bismarck wies es zurück. Später freilich erschien ihm die Aufrollung des Judenproblems als ein willkommenes Mittel, die ihm verhaßte liberale Partei zu spalten.
Währenddessen war der Funke des politischen Antisemitismus auf Rußland übergesprungen. Hier hatten Staatsfeinde den volksfreundlichen Kaiser e Alexander ll . grad zu einem Zeitpunkte ermordet, als eine Verfassungsurkunde zur Unterzeichnung auf seinem Schreibtisch lag (13. März 1881). Zu den in Rußland bereits vorhandenen religiösen und wirtschaftlichen Motiven kamen nun auch politische. Auf diese gestützt, duldete die Regierung gleich nach Regierungsantritt des neuen Kaisers Alexander III. ein Blutbad unter den Juden und verfügte in den sog. „Maigesetzen“ (1882) die Ausweisung von Tausenden.
Im folgenden Jahre hielt der Ritualmordprozeß in Tisza- Eszlar die Welt in Atem. Die judenfeindliche Bewegung flammte in ganz Ungarn auf und führte in Preßburg und anderen Orten zu Ausschreitungen.
Antisemitenpetition, Rußland, Ungarn — Gewitterwolken am Himmel der jüdischen Gesamtheit.
Die Berliner Juden aber sahen nichts, wollten nichts sehen. Es wurden Protestversammlungen veranstaltet. Es wurde Geld gesammelt für die Opfer der Pogrome, um den Überlebenden den Wiederaufbau ihrer Existenz oder die Auswanderung nach Amerika zu ermöglichen. Aber von Zusammenschluß, innerer Einkehr, religiöser Erneuerung —
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