Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1903) Goethe ; Theil 1
Entstehung
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Die grosse Bedeutung geistiger Abweichungen.

Einleitung.

Selten wird die Bedeutung krankhafter Geisteszu­stände genügend erkannt. Mangel an Kenntnissen einerseits, Befangenheit in Vorurtheilen andererseits haben die richtige Beurtheilung der vom Gewöhnlichen abweichenden Geistesbeschaffenheit in der Regel un­möglich gemacht, und es ist gar nicht zu sagen, wie­viel Thorheit und Unheil im Laufe der Zeiten durch unpassende Verwendung juristischer, moralischer, theo­logischer Kategorieen an Stelle naturwissenschaftlicher oder ärztlicher entstanden ist.

Das Ungewöhnliche wird am leichtesten erkannt, wenn es recht weit vom Gewöhnlichen abweicht, sich als ein durchaus Neues darzustellen scheint. So sind freilich die groben geistigen. Störungen der Aufmerk­samkeit nie entgangen, und die Thatsache, dass es Geisteskranke giebt, ist immer anerkannt worden. Die Geisteskranken wurden theils eingesperrt, theils in Freiheit gelassen, hier als Kranke im gewöhnlichen Sinne angesehen, dort als Besessene oder Dämo­nische, immer aber als eine abgeschlossene Species.