Einleitung.
Die menschliche Bequemlichkeit neigt stets zum Entweder—Oder, es ist daher begreiflich, dass man annahm, der Mensch sei entweder gesund oder geisteskrank. Bis zum Beweise des Gegentheiles wurde Jeder für gesund gehalten, war Einer aber einmal für geisteskrank erklärt, so schied er aus der menschlichen Gesellschaft aus, wurde sozusagen in eine andere Classe versetzt. Ein grosser Teil der Juristen steht jetzt noch auf diesem Standpuncte. Man hätte sich von vornherein sagen können, dass, da doch nirgends in der Natur Sprünge vorkommen, auch zwischen Gesundheit und Geisteskrankheit keine scharfe Abgrenzung anzunehmen sei. Man hätte bei unbefangener Beobachtung ohne besondere Vorkenntnisse die Zwischenformen erkennen und sich davon überzeugen können, dass nicht nur oft der Gesunde erst ganz allmählich zum Geisteskranken wird, sondern auch zwischen den ganz Gesunden und den ganz Kranken eine überaus grosse Menge zu finden ist, bei der Gesundes und Krankes vermischt ist, Leute, bei denen einzelne krankhafte Züge unverkennbar sind. In Wirklichkeit jedoch wuchs die Erkenntniss ausserordentlich langsam, und trotz der Zugänglichkeit des Materials hat man bis zur neuesten Zeit recht bescheidene Fortschritte gemacht.
Auch die sogenannte ärztliche Wissenschaft konnte in dieser Angelegenheit nicht gerade viel leisten. Entsprechend der Theilung des Menschen in Leib und Seele überliess man in früheren Zeiten den Leib den Aerzten, wies die kranke Seele den„Seelenärzten“ zu,