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Vorwort
Der Betrachter des Gemäldes von Oppenheim wußte auch, wie diese Affäre ausging: Lavaters Aufforderung hatte Mendelssohn in ein Dilemma gebracht. Gelang die Widerlegung der christlichen Wahrheiten zu überzeugend, hätte er sich gegen seinen Willen den Ruf eines Freidenkers, gar Atheisten eingehandelt, der die herrschende christliche Staatsreligion gefährdet. Damit hätte er die Duldung in Berlin - das Bürgerrecht besaß Mendelssohn zeitlebens nicht - riskiert. Gelang sie nicht überzeugend, war sein Ruf als Aufklärer und seine Existenz als Jude dahin. Am Ende verweigerte Mendelssohn die Auseinandersetzung mit dem Hinweis, daß er als rechtloser Angehöriger eines unterdrückten Volkes sich ohnehin nicht frei äußern könne. Er bleibe mit guten Gründen der Religion seiner Väter treu, aber diese Gründe öffentlich zu erörtern, erzeuge Zwist und schade darum dem friedlichen und gedeihlichen Zusammenleben der Bürger verschiedenen Glaubens und damit letztlich dem Gemeinwohl im Staat. Lavater nahm sein Ansinnen schließlich zurück, denn ob seiner missionarischen Attacke gegen den untadeligen «deutschen Sokrates» Mendelssohn und gegen die religiöse Toleranz hatte er sich eine Menge Kritik, Spott, ja Häme seitens bekannter Aufklärer wie Lessing, Nicolai und Lichtenberg zugezogen. Er galt seitdem als der Inbegriff der Intoleranz im religiös toleranten Zeitalter der Aufklärung, ein sektiererischer Aufklärungsfeind, der Mendelssohns Gastfreundschaft schlecht vergolten hatte.
In der Mitte zwischen beiden steht Lessing. Auch er ist wie Lavater Christ, aber er ist ein wirklicher Aufklärer, der Freund Mendelssohns und der Juden. Er hat zeitlebens die religiöse, intellektuelle, emotionale und ästhetische Gleichwertigkeit der Juden behauptet, er hat Mendelssohn als Philosophen, Aufklärer und Freund geachtet und anerkannt. Es war Lessing, der Mendelssohn in der Gestalt Nathans des Weisen schon zu dessen Lebzeiten ein literarisches Denkmal gesetzt und für religiöse Toleranz gestritten hat: ein deutscher Aufklärer, der Mendelssohn