46 Europäische Aufklärung und Haskala
rung aus der rabbinischen Tradition mündet in eine entzaubernde Kritik von Aberglauben, Wundern und Zauberei, von religiösen Machtverhältnissen und nicht mehr rational zu rechtfertigenden Gebräuchen und Vorschriften. Rationaler Wissenserwerb und rationale Selbstbestimmung sind Kernforderungen der Maskilim, sie lösen die folgsame Orientierung am Überkommenen ab. Bildung und Wissenschaft gelten ihnen als der Ort, als Medium und auch als Gegenstand der Vernunft; einer Vernunft, welche die Maskilim in ihrem hebräischen Namen («die Vernünftigen») stolz als Selbstbezeichnung tragen. Nicht mehr die Religion, sondern die Vernunft sollte über ihr Leben bestimmen.
Dieses Beharren der Haskala auf Rationalität ist nicht zu verwechseln mit einem Akt oder Prozeß von Säkularisierung. Die Verweltlichung, gar die Ersetzung von Gehalten oder Gebräuchen der jüdischen Religion gehörte nicht zu den Zielen der Haskala. Selbst die religiös veränderungswilligen Maskilim wollten eine Reform und Fortentwicklung des Judentums und der religiösen Identität, nicht die Abschaffung der Religion oder ihre Ersetzung durch säkulare Institutionen, Verhalten und Verfahren. Aufklärung von der Religion, das wußten die Maskilim, hätte das Projekt einer Aufklärung von Juden als Juden und damit die jüdische Identität selbst gefährdet. Darum wollten sie eine Reform der jüdischen Religion, um sie in einer sich schnell verändernden Umwelt zu erhalten und überlebensfähig zu machen. Die moderne jüdische Identität bewegt sich bis heute und unaufhebbar um die Pole von Religion einerseits und von Zugehörigkeit zum jüdischen Volk andererseits.
Die Demokratisierung der jüdischen Gesellschaft war sowohl eine Forderung als auch eine Errungenschaft der Haskala. Die Maskilim waren eine weltliche Elite, die in Theorie und Tat die Macht der Rabbiner brach. Sie forderten und bewirkten eine Pluralisierung des Wissens und der Schulbildung, sie eröffneten breiten jüdischen Schich-