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Die jüdische Aufklärung : Philosophie, Religion, Geschichte / Christoph Schulte
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182 Die politische Philosophie der Haskala

ten. Das Wissen wird durch den Glauben substituiert, Glauben und entsprechendes religiöses Handeln sind Werke der praktischen Vernunft menschlicher Individuen. Durch diese kantische Wendung einiger jüdischer Philoso­phen wird Religion indessen nicht nur Menschenwerk, sie wird als Menschenwerk auch historisierbar. Das Juden­tum bekommt eine Religionsgeschichte. Für die religiösen Gebote hat das die Folge, daß sie ihre ungeschichtliche Absolutheit verlieren. Nicht nur Ascher und Bendavid, sondern auch die jüdischen Kantianer Isaak Euchel, Mar­kus Herz und Salomon Maimon betrachten sie als das Werk einer jahrhundertelangen historischen Entstehung und Kanonisierung ehemals gültiger, aber gegenwärtig veralteter, menschlich gemachter und tradierter Gebote. Diese veralteten Gebote können, weil nur historisch ge­wordenes Menschenwerk, in der Gegenwart durch die Autonomie moderner Juden geändert oder gänzlich abge­schafft werden.

Dieser autonomie-ethische Diskurs zugunsten einer Ver­änderung der Halacha spaltete schließlich die Haskala, die in Berlin entstandene jüdische Aufklärungsbewegung in gleicher Weise wie Kants Kritiken die Kantianer und die Wolffianische Schulphilosophie im deutschsprachigen Raum entzweit hatten. Denn die nicht-observante Posi­tion dieser jüdischen Kantianer wurde von Vertretern der älteren Generation der eher konservativem Maskilim wie Naftali Hartwig Wessely oder Isaak Satanow abgelehnt. Sie machten weder die kantianische Wende mit noch ak­zeptierten sie Veränderungen der Halacha. Sie wollten bürgerliche Verbesserung und zugleich Observanz gegen­über der religiösen Tradition, während für die Kantianer Ascher, Bendavid oder Maimon Halacha der Inbegriff von Heteronomie war. Sie waren aus diesem Grund ohne Zö­gern bereit, viel mehr halachische Gebote zu brechen und zu opfern, als zugunsten der bürgerlichen Verbesserung der Juden von den Christen und der Obrigkeit je gefordert wurde. Daher ist ihr Kampf gegen traditionalistische Rab-