182 Die politische Philosophie der Haskala
ten. Das Wissen wird durch den Glauben substituiert, Glauben und entsprechendes religiöses Handeln sind Werke der praktischen Vernunft menschlicher Individuen. Durch diese kantische Wendung einiger jüdischer Philosophen wird Religion indessen nicht nur Menschenwerk, sie wird als Menschenwerk auch historisierbar. Das Judentum bekommt eine Religionsgeschichte. Für die religiösen Gebote hat das die Folge, daß sie ihre ungeschichtliche Absolutheit verlieren. Nicht nur Ascher und Bendavid, sondern auch die jüdischen Kantianer Isaak Euchel, Markus Herz und Salomon Maimon betrachten sie als das Werk einer jahrhundertelangen historischen Entstehung und Kanonisierung ehemals gültiger, aber gegenwärtig veralteter, menschlich gemachter und tradierter Gebote. Diese veralteten Gebote können, weil nur historisch gewordenes Menschenwerk, in der Gegenwart durch die Autonomie moderner Juden geändert oder gänzlich abgeschafft werden.
Dieser autonomie-ethische Diskurs zugunsten einer Veränderung der Halacha spaltete schließlich die Haskala, die in Berlin entstandene jüdische Aufklärungsbewegung in gleicher Weise wie Kants Kritiken die Kantianer und die Wolffianische Schulphilosophie im deutschsprachigen Raum entzweit hatten. Denn die nicht-observante Position dieser jüdischen Kantianer wurde von Vertretern der älteren Generation der eher konservativem Maskilim wie Naftali Hartwig Wessely oder Isaak Satanow abgelehnt. Sie machten weder die kantianische Wende mit noch akzeptierten sie Veränderungen der Halacha. Sie wollten bürgerliche Verbesserung und zugleich Observanz gegenüber der religiösen Tradition, während für die Kantianer Ascher, Bendavid oder Maimon Halacha der Inbegriff von Heteronomie war. Sie waren aus diesem Grund ohne Zögern bereit, viel mehr halachische Gebote zu brechen und zu opfern, als zugunsten der bürgerlichen Verbesserung der Juden von den Christen und der Obrigkeit je gefordert wurde. Daher ist ihr Kampf gegen traditionalistische Rab-