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Wanderjahre
Nordau gefährdet ihn nicht, denn er hat überhaupt keine Lust, für den Lloyd zu schreiben. Widerwillig rechnet er seiner Schwester vor, sein Verzicht auf eine feste Anstellung bei einer Zeitung während der Reise koste ihn »gering gerechnet 17000 fl[.] (ich hätte bei der N.[euen] Fr.[eien] Pr.[esse] als Pester Korrespondent nach der Anstellung mindestens ein Jahresfixum von 6000 fl. haben können, vielleicht gar 8000, macht mindestens 12000, und 5000 fl. unsere Ausgaben in 2 Jahren). 17000 fl. gebe ich nicht aus, um dem Lloyd Feuilletons zu schreiben. Dazu habe ich Zeit, wenn ich mich eines Tages wieder an die Kette lege. Ich würde mir eventuell nichts daraus machen, volle zwei Jahre lang gar nicht im Ll.foyd] zu figurieren .« 53
Vorläufig reist und besichtigt Nordau, ohne viel zu schreiben. Am Ende dieser Reise wird er, ausgestattet mit einem ungeheuren Bildungshunger, fast alle großen Museen Europas persönlich gesehen haben - ein unschätzbares Kapital für einen angehenden Kunst- und Kulturkritiker im Zeitalter vor der technischen Reproduzierbarkeit der Kunstwerke in Form von Bildbänden. 54 Nordau hat vor all diesen über Europa verteilten Kunstwerken in den großen Museen von Wien , Berlin , St. Petersburg , Kopenhagen , Lon don , Paris , Madrid , Rom und Venedig wirklich noch gestanden und sie studiert. Durch sie werden Maßstäbe gesetzt, aber auch ein musealer und von daher konservativer Kunstkanon eingeübt, vor dem wenig Neues Bestand hat - so wenig wie später die meiste moderne Kunst vor den Kritiken Nordaus. Bei Nordau wird auf jener jugendlichen Bildungsreise das Musee imaginaire 55 , jene gigantische Sammlung von beliebig und allerorts abrufbaren und damit der Kritik verfügbar gemachten, weil fotografisch reproduzierten Kunstwerken im Bewußtsein des heutigen Kunstbetrachters, noch Aug’ in Aug’ mit den Kunstwerken selber gewonnen. Nordau hat sein Musee imaginaire noch ganz aus eigener Anschauung in allen gro-
53 Brief Nordau - Charlotte Südfeld, Paris , 8.12.1874, ZZA A119/15.
54 Vgl. Walter Benjamin , Das Kunstwerk im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit, in: Gesammelte Schriften, hg. v. R. Tiedemann u. H. Schweppen- häuser, Frankfurt/M . 1982, Bd.1.2, S.431-508.
55 Vgl. Andre Malraux , Le musee imaginaire, in: ders., Les voix du silence, Paris 1951.