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Sonderheft 1, Zeitbilder: Zwei Fragmente von Theodor Fontane "Sidonie von Borcke" und "Storch von Adebar"
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Beschwörungsformeln und aufrichtigem Bangen und Beten. Dementsprechend sind die Figuren, die sie heranzieht, die ihr dienen. Bis endlich das Maß voll ist, und die durch sie gekränkten und beleidigten Elemente des Landes grausam ihre Revanche nehmen. Als sie merken, daß ihre Gegnerin zu stark, zu klug, zu mutig ist, uq ihr siegreich beizukom­men, haben sie den genialen Gedanken, ihr aus dem Hokuspokus, mit dem sie gespielt, eine Schlinge zu drehn und die relativ Arglose plötzlich auf Hexentum hin zu verklagen. Und dieser Anklage, die durch eine Reihe von Zufälligkeiten unterstützt wird, erliegt sie. Die bösen Geister, mit denen sie gespielt, packen sie ernsthaft und würgen sie. Aller Ein- und Fürsprache benachbarter Fürsten unerachtet, erleidet die Tochter des ältesten und stolzesten pommerschcn Geschlechtes einen schimpflichen Tod.

Hier haben Sie, hochverehrter Herr, die Skizze. Über das, was der Stoff wert ist, der außer­dem glücklich für mich liegt, bin ich mir vollkommen klar und ich werde mir seine Be­handlung nicht entgehen lassen. . .

Am 2;. August 1881 nimmt wieder ein Brief Fontanes Bezug auf den Stoff, der inzwischen wohl schon im Aufriß vorlag. Aus Wernigerode schreibt er an Mathilde von Rohr:Heute bitt ich, zuerst meinen Dank für Ihre freundlichen Zeilen vom 9. August, für den beige­schlossenen Brief Ihres Herrn Neffen und für den ,Lupoid v. Wedel' [A. E. Brachvogel, Ritter Lupoid v. Wedels Abenteuer. Hist. Roman in j Bänden mit freier Benutzung von Lupolds Selbstbiographie. Berlin 1874] aussprechen zu dürfen. Meine Frau hat mir den größeren Teil dieses Romans und jedenfalls alles auf Sidonie v. Borcke Bezügliche ge­lesen. .(Beide Briefe stehen in der Ausgabe:Briefe Theodor Fontanes. Zweite Samm­lung." Herausgeber Otto Pniower und Paul Schlenther, Berlin 1909, Bd. 1, S. 415 ff. und Bd. 2. S. 54 ff.)

In diesen beiden Briefen, die über die Schafienszeit am Fragment einigen Aufschluß geben, ist auch sicher geworden, daß Fontane ganz anders Vorgehen wollte als seineVorläufer, Meinhold und Brachvogel, - eben fontanisch. Und dazu gehörte noben den momenthaften Einfällen und Bildern, die ihn überkamen, auch die Historie, das Wissen, wie cs wirklich war. Vielleicht ist es das Fehlen an Zeit für diese Studien, das die Vollendung der Novelle verhinderte, war doch Fontane mitten in seiner ersten großen Schaffenszcit von 1879 bis in die mittleren 80er Jahre hinein.

Für den - brillant gewählten - Stoff hatte sich Fontane als eine der QuellenBarthold" notiert, wo sich auch die ganze Geschichte in erregender Exaktheit findet, und zwar in: Geschichte von Rügen und Pommern. Verfaßt durch F. W. Barthold, Doctor der Philo­sophie und ordentlicher Professor der Geschichte an der Universität zu Greifswald. Ham­burg bei Friedrich Perthes 1843. Vierter Teil. Erster Band, S. 485-500:Aber bang in die Ferne schauende Gemüther, wie Dr. Cramer und andere, ermaßen aus der Stellung der Parteien und aus unheimlichen Naturereignissen, wie dem schrecklichen Kometen vom J. 1618 und der Strandung eines ungeheuren Wallfisches [siel] an der Küste von Wollin (12. Mai 1S20) ein nahes Strafgericht über Fürsten und Volk und mahnten zur Buße.. . Besser hätte das Wetterleuchten um das Erscheinen Sidoniens sich nicht abzeichnen kön­nen. Das war ein historischer Novellenstoff von einmaliger Art. Und er hatte das, was bei Fontane immer das Anregungsmoment war: die Atmosphäre. Zudem spielte er in der Nähe jener Gegend, in der schon seine Kinderaugen in die Ferne gesehen hatten. Dieser Stoff paßte zuStörtebeckers Kul, zum Sausen des Nordwesters im Schornstein, zum nächt­lichen Streifen der Kirschbaumzweige am Fenster und zu den verstaubten Phiolen des Hexenküchenlaboratoriums im alten Apothekerhaus zu Swinemünde - de oll Geisler gieng wedder ümm!

Die Geschichte selbst lief so: Prozeßaktenin puncto magiae der Archive aus jener Zeit und die noch später bezeugten Brandstätten geben Kunde von einer allgemeinen Ver­folgungswut gegen Hexen und Zauberinnen am Ende des 16. Jahrhunderts. Der kom­mende Dreißigjährige Krieg sollte vollends zeigen, wie die Gemüter verstört und die Teufelsfurcht wachgehalten war, so daß auch ein Friedrich von Spee das Opfer jener Tage

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