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Gesell Qaluta galt als geistiges oder, besser gesagt, seelisches Oberhaupt, trotzdem er mit Gelehrsamkeit sehr wenig zu thun hatte. Das erhellt aus dem Talmud Sukka 10, wonach die zwei größten Lehrer ihrer Zeit, R. Chisda und Rabba bar Huna, bei ihrem Erscheinen vor dem Exilarchen sich vom Gebote der Laubhütte dispensirt erachteten durch die Erfüllung des Gebotes, am Festtage vor ihrem geistigen Oberhaupte zu erscheinen (^12 Z^N).
Uebrigens ivaren auch die Amoraim selbst in erster Reihe Fürsten, daher heißt es »28 X21 "i-V. Nab Nachman fuhr in goldener Carosse, und
wenn an den Festtagen Zehntausende von Hörern aus allen Gegenden tarnen, lo war das mehr Huldigung als Wißbegierde, denn es heißt (Berach. 6K>: „der Lohn der Halbjahrs-Versammlung besteht im
Aushalten im Gedränge", nicht im Hören. Diese Volksversammlungen waren denn auch feindlich gesinnten Herrschern ein Dorn im Auge und führten zu Rabba bar Nachmani's Zeit zu großer: Verfolgungen. Andrerseits machte sich die Exilarchenwürde schädlich fühlbar, als der Prätendent Anair aus Zorn über seine Zurücksetzung bei der Wahl die Sekte der Kararten gründete, die durch ihren Abfall vom Talmud durch Jahrhunderte den Bestand des Judenthums gefährdete. Es ist ja viel leichter, das größte Gebäude zu zerstören, als einen einzigen Gburrdstem zum Aufbau zu legen. Es ist daher um so mehr zu bewundern, wie es einem einzelnen Manne gelingen konnte unter so trübseligen Verhältnissen, ohne jede Mitwirkung, ja ohne die leiseste Mittheilung, einen Plan zu verwirklichen, der ohne Betheiligung und Einwilligung lveiter Kreise gar nicht gedacht werden konnte. —
9t. Schalem war früh verwaist und als Jüngling von dem angesehensten Schüler seines Großvaters, N. Nachum Czernobieler, ins Haus genommen worden, der ihm seine Enkelin zur Frau gab. Sein äußerliches Auftreten erregte Befremden und Argwohn. Nicht nur, daß er das weißseidene Kleid des Rabbi nicht anlegen wollte, das Zeichen der iveltflüchtigen Beschaulichkeit, ließ er sich tuchene Gewänder mit Knöpfen nach modernen: Schnitt und mit peinlichster Genauigkeit angepaßt machen. Wollzeug war jedoch, wie Azulai im Lulle ssoset auch von den palästinensischen Chaßidim berichtet, verpönt, wegen der Befürchtung einer Beimengung von Flachsfäden bei der Schur (ll-'L-'N IllpLh. Noch mehr, er zog sich vor dein Spiegel an, was nach dem Talmud nur ausnahmsweise den Patriarchensöhnen ans dein Hause Hillel's erlaubt worden war. Er frisirtc sich sorgfältig, trug kurze Pejes, vertauschte die plebejische Pfeife mit kostbaren Zigarrenspitzen, war auf die strengste Eleganz der Wohnung, Möbel und Gerüche bedacht und schrieb seiner Frau dasselbe Verhalten und moderne Kleidung vor.
Nun wäre jeder Andre, der an der zur religiösen Nationaltracht gewordenen Kleidung auch nur das Geringste geändert hätte, als Ketzer betrachtet worden. Aber R. Nachum wußte, mit wem er zu thun hatte, obwohl ihm nicht klar war, worauf das hinzielie. Auf fortgesetztes Drängen seiner Hingebung ließ er sich doch herbei, an den jungen Mann, dessen Abstammung, sonstiger Lebenswandel und imponirender Eindruck cs ihn: schwer fallen ließ, eine väterliche Ermahnung zu richten: „Mein Sohn,, Tu gehst einen gefährlichen Weg, den Deine Väter nicht gekannt haben, aus der Schneide des Schivertes. Ein einziger Fehltritt wäre Dein Unglück." Daraus antwortete der junge R. Scholen:: „Man hat einmal eii: Huhn auf Enteneier gesetzt. Die Enten folgten den Küchlein, als ob es Hühner wären. Da kam eines Tages die Henne an einen Teich, in