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Eine ungekannte Welt : Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben / von Judäus
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Rabbi Jesaja erschreckte die Energie des Stadthaupt­mannes. Nachdem er eingesehen, welchen Fehler er gemacht, daß er die Polizei in's Vertrauen gezogen hatte, wollte er den Mißgriff wenigstens, soweit er noch konnte,- abzuschwächen suchen. Er hätte es deshalb gern vermieden, die Sache zum Gegenstand des öffentlichen Geredes zu machen. Wenn aber der Stadthauptmann in einer und derselben Sänfte sich mit ihm durch die Judengasse tragen läßt, dann war für nichts mehr zu stehen.

Wenn Euere Excellenz unserem Hause die Ehre Hoch- dero Besuches erweisen wollen, so kann ich aber die Ehre schlechterdings nicht annehmen, daß ich mit Ihnen in einer und derselben Sänfte mich durch die Stadt tragen lasse. Zudem möchte ich auch meine Frau von der uns bevorstehenden Ehre benachrichtigen, damit sie unsere bescheidenen Räume ein wenig vorher in Stand setzen kann, um einen so hohen Gast einiger­maßen würdig zu empfangen."

Herr von Dingeldein ließ sich aber nicht abwendig machen; und wenige Minuten später bot sich der Stadt Frank­furt das seltene Schauspiel, daß der Rabbiner und der erste höchste Polizeibeamte der Stadt in einer und derselben Sänfte die Judengasse passirten und vor der Wohnung des Rabbiners abstiegen.

VI.

Ehrfurchtsvoll betrat der Stadthauptmann unter Führung des großen Gelehrten dessen Geisteswerkstätte, die Lehrstube. Beim Anblick der großen Folianten, welche sämmt- liche Wände in hohen Schränken ausfüllten, vergaß Herr von