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zum Himmel erhobenen Blick aus: „Möge mir Gott in seiner Gnade alle meine Schwächen und Irrungen verzeihen, wie ich dem Dieb meiner Werthgegenstände mit ganzem Herzen das Geschehene vergebe. Mein Gott! ich nannte ihn in diesem Augenblick noch einen Dieb, und er ist es doch nicht mehr! Wie unsäglich weit ab stehe ich doch noch von dem Gesinnungsadel unserer Weisen, gesegnet sei ihr Andenken, welche sagen: „Wenn Du einen Talmid Chacham bei Nacht eine Sünde begehen siehst, trage sie ihm bei Tag nicht mehr nach, hat er sie am Tage begangen, trage es ihm bei Nacht nicht mehr nach; vielleicht hat er Tschuba gethan. Vielleicht? Sicher hat er's bereut und sich gebessert." Möge mir vom Himmel nur die Gnade beschicken sein, daß ich den Namen des Mannes erfahre, der in einer schwachen Stunde die Hand nach meinem Besitz ausgestreckt hat, damit ich ihm helfen kann. Möge er aber niemals erfahren, daß ich ihn kenne, damit er nicht beschämt wird vor mir. Wenn Du, o Gott, mir diese Gnade gewährst, will ich daraus die Ueberzeugung schöpfen, daß Du mir auch die Sünde verziehen hast, den armen Mann dem nichtjüdischen Gerichte auszuliefern."
Diesen Fehler wieder gut zu machen, war Rabbi Jesaja nächstes und wichtiges Anliegen. Er sagte sich, daß er den Besuch des Stadthauptmanns nicht abwarten dürfe, sondern ihm zuvorkommen und ihn bewegen müsse, die ganze Begebenheit als ungeschehen zu betrachten. Abgesehen von der neuen Aufregung, die ein zweiter Besuch des Stadthauptmanns in der Judengasse zur Folge hätte, war es auch viel schwerer, denselben zur Niederschlagung jeder Untersuchung zu veranlassen, wenn er schon seinen Plan entworfen hatte und ihn in seinem Amts- eiser zu Ende führen möchte.