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Eine ungekannte Welt : Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben / von Judäus
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Leben sonst verklärte, lagerte jetzt ein stiller, unnahbarer Ernste der über ihn seine Schatten warf.

Lieber Mann," sagte sie eines Abends,so darf es nicht weiter gehen. Ich sehe, Du härmst Dich, und Dein edles Ge- müth wird um so furchtbarer bedrückt, je weniger Du Deinen Kummer aussprichst. Sagen doch die Weisen, daß man die Sorgen aussprechen müsse, die das Herz erfüllt. Es muß doch ein Mittel geben, um Dich wieder so heiter und glücklich zu machen, wie ehedem."

Rabbi Jesaja wollte erst seinen Seelenschmerz leugnen, aber das konnte er nicht lange, angesichts einer so scharfen und besorgten Beobachterin.

Du hast Recht," räumte er dann füglich ein,es ist nicht, wie es früher war und wie es sein sollte. Der Gedanke an den durch unsere Schuld unglücklichen, verstümmelten Menschen läßt mich keine Ruhe finden. Ich habe ohne Dein Wissen heim­liche Sendboten ausgeschickt, um ihn aufzusuchen, aber es ist nirgends eine Spur von ihm zu entdecken, was um so auf­fallender ist, als er durch die grausame Verunstaltung seines Hauptes doch leicht kenntlich sein müßte. Ich habe das be­drückende Gefühl, daß unsere Teschuba (Rückkehr zu Gott ) vom Vater des Erbarmens nicht angenommen wird. Es ist dies an und für sich nicht auffallend. Wer sich gegen Gott und nur gegen Gott vergangen hat, für den genügt die Reue über sein Vergehen und der feste Vorsatz, es für alle Zukunft zu meiden,, um wieder Gnade und Erbarmen zu finden. Wer sich aber gegen einen Menschen versündigt hat, der muß zuerst seine volle Verzeihung erwirken, bevor er die göttliche erlangen kann. Diese allererste Bedingung lastet unerfüllt auf uns."