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Von Prag waren die ersten Würdenträger der Gemeinde und viele hervorragende Thoragelehrte dem sehnlichst erwarteten Rabbiner entgegengereist. Je näher sie der Hauptstadt
Böhmens kamen, um so mehr häuften sich die Deputationen, welche dem neuen Oberhaupt der böhmischen Judenheit ihre Huldigungsgrüße entgegenbringen wollten. In Prag hatte man für einen Tag das Kriegsgetümmel und die Schrecken der ungewöhnlich erregten Zeit ganz vergessen; die ganze Gemeinde schien keine andere Sorge zu haben, als ihrem von so weiter Ferne berufenen Rabbiner einen recht herzlichen Empfang zu bereiten. Alles drängte sich an den großen Mann heran, um seinen Segen, oder doch ein Wort oder Händedruck von ihm zu erhalten. Die Vorsteher geleiteten den Rabbiner und seine Familie in die bis in die kleinsten Details reichlich ausgestattete Wohnung. Eine Mahlzeit stand für die Angekommenen bereit, an welcher auch die sämmtlichen Mitglieder des Vorstandes und des Gerichts-Kollegiums Theil nahmen. Rabbi Jesaja setzte sich jedoch nicht nieder. Er ergriff das Wort, um seinen Dank gegen Gott und gegen die Gemeinde für die glücklich zurückgelegte Reise und die herzliche Aufnahme auszusprechen. Er that dies in so vollendeter, geist- und ge- müthsvoller Weise, daß er sich sofort die Herzen aller Anwesenden gewonnen hatte. Schon am folgenden Tage nahm er seine Thätigkeit als Leiter der Jeschiba und als Vorsitzender des Besdin (Richter-Kollegium) aus. Er suchte persönlich alle Vereine, Einrichtungen und Institutionen der Gemeinde auf, um etwaige Mängel abzustellen und das Gute durch seine Anerkennung zu fördern. Aber einer segensreichen Entfaltung seiner Wirksamkeit stellten sich Schwierigkeiten entgegen, die er nicht zu bewältigen vermachte. Der ausgebrochene böhmische