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Eine ungekannte Welt : Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben / von Judäus
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Euch in aller Form erkläre, daß ich Euch Alles verzeihe und vergesse, falls ich Euch überhaupt etwas zu vergeben hätte, Ihr würdet Euch doch nur von der Schuld mir gegenüber srei dünken, aber was Ihr Gott gegenüber verschuldet zu haben glaubt, das läge immer noch wie ein drückender Alp ungesühnt auf Euerem edlen Herzen. Es lag mir aber daran, ein Mittel zu finden, durch welches selbst die peinlichste Gewissenhaftigkeit Euch rein und frei sprechen muß vor Gott und den Menschen. Dieser Gedanke beschäftigte mich ohne Unterlaß, auch als sich mein äußeres Geschick erträglich und dann sogar glänzend, gestaltet hatte." '

Die Erinnerung an das, was er erlebt und erlitten hatte in den langen Jahren, überwältigte Proßnitzer derart, daß er einen Augenblick innehalten und sich sammeln mußte, um nicht den Faden zu verlieren. Dann fuhr er fort:

Zwei Jahre muhte ich hart arbeiten, bis ich mir Pfennig­weise die zur Ueberfahrt erforderliche Summe sammelte. Als ich aber den Boden des heiligen Landes betreten hatte, hat sich mein äußeres Geschick sofort zum Guten gewendet. Ich ging direkt vom Hafen in's Bes Hamidrasch. Dort wurde merk­würdigerweise gerade derselbe Traktat im Talmud gelernt, den wir bei Euch in den letzten Jahren meines Frankfurter Aufent­haltes durchgenommen hatten. Und wunderbarer Weise warf der Vortragende Rabbi eine scharfsinnige Frage auf, die Ihr gefragt und in so glänzender Weise beantwortet hattet. Nie­mand wußte eine Antwort auf die aufgeworfene Frage. Ich erhob mich und fragte, ob es einem soeben angekommenen Fremden erlaubt sei, ein Wort zu sprechen. Als mir die Er- laubniß ertheilt wurde, legte ich Euere geistvolle Darstellung des Gegenstandes dar, die mir so geläufig war, als ob ich sie