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Eine ungekannte Welt : Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben / von Judäus
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abbi Jo«l Katzenellenbogen und Rabbi Moscheh. Charis saßen über einem schwierigen Stück Talmud in der Klaus wo sag ich nicht zu N. N. Sie saßen, ist eigentlich nicht ganz correkt; sie standen an einem großen Pult einander gegenüber. Einen größeren Gegensatz, als diese beiden Männer auch in ihrem äußeren Auf­treten, konnte man sich kaum denken. Rabbi IM war von kurzer, gedrungener Statur mit entschiedener Anlage zur Kor­pulenz; Rabbi Moscheh war eine lange, hagere Gestalt mit einem der bleichen Gesichter, wie sie Cäsar fürchtete. Aber es lag so viel Herzensgüte und Helle Weisheit in jedem Zug des langen Gesichts, daß ein Blick auf dasselbe genügte, um es dem Beschauer sympathisch zu machen. Rabbi IM war reich, Rabbi Moscheh arm. Aber das war ein Gegensatz, der in der Klaus nie zur Geltung kam. Rabbi Moscheh konnte es nie warm genug im Zimmer haben, Rabbi IM nie kalt genug. So groß beide in der Kenntniß der Thora waren, und so hoch sie sich im tiefsten Herzen wegen dieser ihrer Gelehrsamkeit achteten, so war dennoch auch in dieser Hinsicht Verschiedenheit und Gegensatz genug vorhanden. Rabbi IM war groß durch seine ungewöhnliche Belesenheit, die von einem ungemein guten Gedächtniß unterstützt wurde. Rabbi Moscheh aber überragte ihn durch seinen seltenen Scharfsinn, der ihm auch den Ehren­namen Charis eingebracht hatte. Rabbi IM war dem ent-