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I.
ist Sabbat-Nachmittag. In allen Gipfeln herrscht Ruh. Auf dem zum größten Theil von Juden be- wohnten Städtchen U. an der ruffisch - galizischen Grenze, lagert eine zauberhafte Stille, die demjenigen besonders auffällt, der das rege, bunte Treiben der Woche kennt. Tie ganze Gemeinde hält ihren Nachmittagsschlaf, oder schickt sich dazu an. Jankel Goldberger und seine Frau Gitel, die Helden unserer Erzählung, sind auch bereits im Begriff, dem Sabbatschlaf seinen Tribut zu zollen. Jankel sitzt auf der harten, hölzernen Bank, die Füße auf zwei tannenen, wurmstichigen Stühlen ausgestreckt, mit dem Rücken an die Zimmer- tvand gelehnt, summt halblaut die Sidra (den heute in der Synagoge vorgelesenen Thoraabschnitt) vor sich hin; zweimal 'n der heiligen Sprache und einmal in der chaldäischen Ueber- rragung. Gitel sitzt am entgegengesetzten Ende des Tisches aus einem gebrechlichen Stuhl, mit dem Rücken gegen das Bett gelehnt und liest ihren Zeeno Ureno. Das kleinste sieben Monate zählende Kind liegt, in einem großen Korb gebettet, schlafend da. Die beiden größeren, acht bis neun Jahre alten Söhne, sind zum „Verhören" beim Melamed (Lehrer) und die zwei dreizehn und vierzehn Jahre zählenden Töchter haben sich zu ihren Altersgenofsinnen begeben, um gemeinschaftlich den Sabbat scherzend und spielend zu begehen.