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Eine ungekannte Welt : Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben / von Judäus
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halbgeöffnete Fenster hinein. Jankel und Gitel fuhren aus ihrem Sabbatnachmittag-Schlaf in die Höhe. Sie hatten Mincho und das Lernen verschlafen und das glänzende Wiener Leben, ihr so rasch gewonnenes und zerronnenes Glück und Elend, alles, alles war nur ein Traum, so treu und so natür­lich, wie ihn aber nur der Schlaf am Schäbbos - Nachmittag zu Wege bringt.

Jankel erzählte alles, was er im Traume in so er­greifender Weise durchlebt hatte, seinem braven, wackeren Weibe und meinte, daß er auf solchen ungewöhnlichen Traum morgen Taaniß Cholem halten müsse. Ich sah, wie Vater Jakob im Traume eine Leiter, aber nicht eine solche, die in den Himmel, sondern eine, die in den tiefsten Abgrund führte, ich selbst be­fand mich aus dieser Leiter und wäre beinahe in den Abgrund gestürzt! Seine Frau schüttelte lächelnd das Haupt und entgegnete:

Man fastet nur, wenn man einen bösen Cholem gehabt hat; aber das war ein guter. Wir Menschen kennen uns selbst nicht. Aber im Traume hält uns Gottes weise Vorsehung oft einen Seelenspiegel vor, der unser tiefstes Gemiiths- und Seelenleben veranschaulicht, und wir erfahren, wie es um uns bestellt ist. Vor zwei Stunden sehntest Du Dich noch nach dem großen Loos und allen damit verbundenen Reichthümern. Jetzt sehen wir, welche Gnade Gott an uns übt, daß er uns diesen Wunsch versagt, ^uäollo ki snisoni! Ich d«aike Dir, o Gott, für die Armuth, mit der Du uns beglückt hast."

Auch Jankel stimmte ein in diesen Dank. Er schloß das Geschäft mit Kathinka nicht ab. Jankel war kurirt.

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