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Eine ungekannte Welt : Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben / von Judäus
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der Zeit häuften sich die Symptome, welche den Vorsteher und seine Gesinnungsgenossen überzeugen mußten, daß ihr Schütz­ling unverbesserlich oder richtiger underschlechterlich sei.

Orlowsky besuchte mit seiner Familie, selbst an den höchsten Feiertagen, niemals die Synagoge, weil sie durch ein nichtjüdisches Kircheninstrument profanirt und der schönste Theil unserer alten Gebete ausgemerzt war. Das war ein unverzeihliches Verbrechen. Wer so religionslos ist, daß er nicht einmal im Jähre dem Gottesdienst beiwohnte, kann nicht aus Religiosität, sondern höchstens aus Trägheit den Sabbat halten. Dagegen gab's keine Argumente.

Die Kinder wuchsen heran und kamen in die Schule. Die Schulbehörden hatten den fremden Kindern ohne alle Schwierigkeit Dispens vom Schreiben am Sabbat bewilligt. Aber die Eltern der übrigen Kinder suchten die humane Ge­sinnung der Lehrerschaft umzustimmen, jedoch ohne Erfolg. Das machte erst recht böses Blut. Man warf Orlowski vor, daß er wieder die alten Scheidewände zwischen Juden und Nichtjuden aufrichte, die in N. N. doch längst gefallen seien. Aber Orlowsky blieb fest.

Die Kinder kamen aus der Schule. Sie sollten placirt werden. Dieselben zeichneten sich durch Bravheit und besondere Begabung aus und jeder Geschäftsmann hätte sie gerne in sein Geschäft ausgenommen, aber die Bedingung, dm Sabbat und die jüdischen Feiertage sreizugeben, wies jeder höhnisch ab. Ein christlicher Schreiner nahm den ältesten Sohn auf, ein Gärtner den zweiten und gewährten ohne große Mühe, was die aufgeklärten Glaubensbrüder einmüthig verweigerten.

So ging ein Jahr nach dem andern hin. Die Familie ernährte sich kärglich, aber in Ehren und war in keiner Weise