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Eine ungekannte Welt : Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben / von Judäus
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ein Fliegenglas, vor dem ich jetzt schon eine volle Stunde sitze und es sinnend betrachte, zeichnet sich in keiner Weise vor anderen Fliegengläsern aus. Ebenso wenig unterscheiden sich meine Stubenfliegen, welchen meine Fliegenglocke der Central- und Brennpunkt ihres ganzen Schwirrens, Lebens und Strebens ist, von anderen Stuben­fliegen. Das Glas besteht aus einer hohlen Halbkugel, deren Höhe spitz zuläuft und durch einen fingerdicken Kork dben ge­schlossen ist. Unten ist sie etwa in einer Höhe von drei Finger­breiten einwärts gebogen, und bildet dadurch einen Behälter zur Aufnahme von verdünntem Essig. Dos ganze ruht auf drei kurzen gläsernen Füßen, die auf einem weißen mit Zucker bestreuten Porzellanteller stehen. Der scharfe Essiggeruch zieht die Fliegen rasch herbei, sie naschen von dem Zucker, fliegen in die Höhe, suchen einen Ausweg, ohne ihn zu finden, und um­schwirren das Glas so lange, bis sie ermüdet in das Efsigmeer nieder fallen und darin elendlich ertrinken.

Das ist die Geschichte aller Fliegengläser. Was mich nun bei diesem Vorgang in erster Reihe interessirt, ist die Frage, wie es denn kommt, daß die sonst so intelligenten Fliegen so einfältig sind, hier den Tod zu finden, dem sie doch leicht entgehen könnten. Sie könnten uns klugen Menschen doch so leicht ein Schnippchen schlagen, sich nach Herzenslust an dem Zucker gütlich thun, und brauchten nur auf demselben