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Draußen sandte die untergehende Sonne ihre letzten Strahlen zur Erde nieder und vergoldete die Spitzen der Bäume. Einer dieser Strahlen fiel durch das hohe Synagogenfenster auf die versammelte Gemeinde, welche fastend und betend den Tag der Versöhnung mit Gott, mit sich selber und mit ihrer ganzen Umgebung feierte. Mit diesem Sonnenschein verband sich der flackernde Lichtschein der tief herabgebrannten Jomkippur-Kerzen und wob eine glänzende Lichtkrone, die wie von unsichtbaren Händen gereicht, auf die Häupter der Beter niedergleitete. Aber noch milder und lichter glänzte die Innigkeit und Seligkeit, welche aus den Mienen der Beter leuchtete.
Von Abend bis Abend hatten sie um Vergebung und Sühne ihrer Fehler und Schwächen vor Gott gerungen, und nun waren sie aus den Schwingen ihres Gebetes der Pforte genaht, die zur Versökmung mit Gott führt.
nrw „Oeffne uns die Gnadenpforte," rief laut die ganze Gemeinde, „denn der Tag neigt seinem Ende zu!"
Die ganze Gemeinde? Nein. Dort an der Säule lehnte ein gebrochener, lebensmüder Greis, dessen Lebensweg auch dem Ende zueilte, aber die Pforte, die zur Gnade Gottes führt, hatte er nicht gefunden. Ueberwältigt von der Heiligkeit des Augenblicks, erschöpft vom Fasten, lehnte er, tief in sein Tallis