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Band 2 Heft 1
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62 E. RUTSCHKE: Ornithologie im Berlin der 20er Jahre

eigenständigen wissenschaftlichen Richtung verdichtete. Er selbst lieferte das Material mit Arbeiten, die wir heute eindeutig der Verhaltenswissenschaft zurechnen können. Erwähnen möchte ich seine Bemerkungen über das Gähnen der Vögel(1924).

Auf fruchtbaren Boden waren seine Gedanken bei KONRAD LORENZ gefallen, der mit seiner Arbeit"Beobachtungen an Dohlen"(1927) in HEINROTH's Fußstapfen trat, was in Berlin auf­merksam registriert wurde. Dementsprechend wurde LORENZ von den Berliner Ornithologen begeistert begrüßt, als er im September 1931 erstmals bei einer DOG-Sitzung erschien und über seine Pläne zur Einrichtung eines Instituts in Altenberg bei Wien berichtete. Die sich abzeich- nende neue Wissenschaftsdisziplin Ethologie, damals noch Tierpsychologie genannt, hatte in Berlin bereits in GUSTAV KRAMER einen begeisterten Jünger gefunden, was in seiner Arbeit "Bewegungsstudien an Vögeln des Berliner Zoologischen Gartens"(1930) sichtbaren Ausdruck fand. Es ist nur wenig bekannt, daß KRAMER, der durch die Entdeckung des Sonnenkompasses der Vögel weltweit bekannt wurde, in Berlin den Weg in die Wissenschaft fand.

Stubenvogelhaltung

Selbst die Stubenvogelhaltung hatte ihren Platz in der Berliner Ornithologie der 20er Jahre. Ihr Hauptrepräsentant war RUDOLF NEUNZIG. NEUNZIG war durch ein von Vogelzüchtern und Stu­benvogelhaltern beliebtes Buch über die Stubenvogelhaltung hervorgetreten. Seine Beobachtun­gen veröffentlichte er auch in der Zeitschrift für Fortpfl.-biol., so über die Brutbiologie der Ploceiden(Webervögel) und Agapornis- und Loriculusarten(1929).

Vogelschutz

Obwohl wissenschaftliches Denken und Handeln obenan standen, gehörte der Einsatz für den Vogelschutz zum selbstverständlichen Tun. Immer wieder findet man in den Sitzungsprotokollen Hinweise auf lebhaft diskutierte Vogel- und Naturschutzthemen. Auch auf diesem Gebiet war es HEINROTH , der mit praktischen Vorschlägen voranschritt. Ihm ist es zu verdanken, daß nach dem ersten Weltkrieg den Havelschwänen nicht mehr die Schwingen koupiert und sie frei fliegend gehalten wurden. Vogelschutzthemen gehörten zum Programm der DOG-Sitzungen. Das Protokoll über einen Vortrag zum Thema"Die Vogelfreistätten an den deutschen Küsten" vermittelt einen guten Einblick in den Seevogelschutz in der Mitte der 20er Jahre. Die darin genannten Inseln und Gebiete Memmert , Langeroog, Norderney , Juist , Neuwerk , Trischen , Norderoog , Sylt, Jordsand, Oehe in der Schleimündung, Priwall, Langenwerder und Poel, die Werderinseln östlich vom Darß und Hiddensee sind heutzutage genauso aktuell wie damals. Ein andermal löste ein Gerichtsverfahren, das sich an die Erlegung eines Storches knüpfte, eine Diskussion über die Nützlichkeit oder Schädlichkeit des Weißstorchs aus, weil sich der Beklagte mit der"erwiesenen Schädlichkeit" des Storchs verteidigt hatte.

3. Schlußbemerkungen

Nie zuvor und nie wieder danach hat es in Deutschland eine Periode gegeben, in der die ornitho­logische Wissenschaft einen solchen Auftrieb erhielt wie im. Berlin der 20er Jahre. Mit HEINROTH, STRESEMANN und SCHUSTER waren Kapazitäten vorhanden, die sich wechselseitig anspornten und andere zu begeistern und anzuziehen vermochten. Die wissenschaftlichen Leistungen, die mit HEINROTH's 4-bändigem Werk"Die Vögel Mitteleuropas " und STRESE­