Der Kolkrabe stellt keine Gefahr für die extensive Viehhaltung dar! Bericht über eine wissenschaftliche Tagung in Potsdam
Zu einer wissenschaftlichen Tagung über den Kolkraben(Corvus corax L.) versammelten sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Dänemark , Polen , Österreich und Deutschland am 9./10. Dezember 1995 in der Universität Potsdam . Hintergrund des Treffens waren die in den letzten Jahren verstärkt auftretenden Meldungen über angebliche Angriffe von Kolkraben auf Schaf- und Rinderherden in Brandenburg , bei denen auch lebende Tiere getötet worden sein sollen. Auf Grund der von einigen Betrieben angegebenen finanziellen Schäden wird von Bauern, Jägern und jüngst auch vom Brandenburgischen Landwirtschaftsministerium die Einführung einer Jagdzeit für den Kolkraben gefordert.
Der Kolkrabe, der größte einheimische Singvogel, war in Mitteleuropa gegen Ende des 19. Jahrhunderts durch Vergiftung und Jagd fast vollständig ausgerottet worden. Auf Grund des verfügten ganzjährigen Jagdschutzes konnte die Art nach 1945 aus den Restpopulationen in Polen , Schleswig-Holstein und den Alpen weite Teile ihres ursprünglichen Verbreitungsgebietes wiederbesiedeln. In Brandenburg tauchten die ersten Kolkraben in den 60er Jahren auf. Die genaue Größe des heutigen Bestandes ist unbekannt, die von Jägern angegebene Zahl von über 24.000 Tieren(1994) liegt aber nach einer Schätzung der Universität Potsdam um mindestens das dreifache; zu hoch. Vor diesem Hintergrund sind Bewertungen wie ein „Überhandnehmen“ des Kolkrabenbestandes unhaltbar. In verschiedenen Gebieten Branden burgs haben Ornithologen wie Paul Sömmer von der Naturschutzstation Woblitz dagegen festgestellt, daß der Populationszuwachs in den letzten Jahren bereits deutlich langsamer geworden ist. Da der Bestand des Kolkraben vor allem von der zur Verfügung stehenden Nahrungsmenge abhängt, stellt er sich ohne äußeres Zutun auf die maximal von der Umwelt tragbare Zahl ein. Durch die Zunahme der brutwilligen Tiere verkleinern sich die Nahrungsreviere und erhöht sich der Aufwand für die Revierverteidigung. Die Altvögel können immer weniger Nahrung für ihre Jungen herbeischaffen und ziehen teilweise nur noch 2 oder sogar nur 1 Junges pro Jahr groß, so daß die Population nicht mehr weiter wächst.
Da der Kolkrabe erst mit 3 Jahren geschlechtsreif wird, existiert neben den Altvögeln ein Anteil an jüngeren, nichtbrütenden Tieren, die ihre Nahrung außerhalb der Brutreviere suchen müssen. Aus diesem Grund versammeln sie sich vor allem an Deponien von Hausmüll und Schlachtabfällen, an Wildfütterungen, Fischteichen oder an landwirtschaftlichen Einrichtungen mit einem konstanten Angebot an Nahrung.
Der Zusammenschluß der Nichtbrüter hat aber auch eine soziale Komponente, da diese Vögel einen Partner finden müssen, mit dem sie die nächsten 10-20 Jahre zusammenleben können. Wie Professor Kurt Kotrschal von der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle der Univer sität Wien berichtete, verbringen Kolkraben, die in ihrer Intelligenz, ihrer Sprachgelehrigkeit, ihrem Sozialverhalten und Spieltrieb z.B. einem Papagei oder Primaten nicht nachstehen, ihre Jugendzeit vor allem mit dem Erlernen von Fertigkeiten, ausgedehnten Spielen und dem Aufbau einer stabilen Partnerbeziehung.
Der Kolkrabe ist wie kein anderer Vogel in der Lage, je nach Angebot von sehr verschiedener Nahrung zu leben. Er frißt lebende Tiere von Insekten- bis Kaninchengröße sowie einen ‚hohen Anteil pflanzlicher Nahrung. Ähnlich wie der Fuchs spielt er eine wichtige Rolle als