56 Kolkrabe und extensive Viehhaltung
„Gesundheitspolizist“, weil er in der freien Natur tote oder kranke Tiere rasch entdeckt und beseitigt. Bei manchen Landwirten und Jägern sind die intelligenten und relativ großen Vögel nicht gerne gesehen, weil sie durch ihre teilweise beachtliche Flugleistung sowie ihre lauten Rufe den Eindruck erwecken, überall präsent zu sein. In einer Untersuchung, die Bernhard Hau von der Universität Potsdam 1995 in Brandenburg durchführte, berichteten einzelne Landwirte, daß der Kolkrabe in den letzten Jahren immer häufiger auf Weiden zu sehen sei. Parallel dazu stieg die Zahl der Meldungen über Angriffe von Kolkraben auf Schaf- und Viehherden und von Nichtbrütertrupps getötete Lämmer und Kälber an. Eine erste Analyse der an Behörden gemeldeten Schadensfälle(1995 insgesamt 30 Betriebe) ergab aber in nahezu allen Fällen, daß keine veterinärmedizinische Bestätigung einer Tötung durch den Kolkraben vorlag. Einige genauer recherchierte Fälle sowie die Ergebnisse einer Untersuchung von Dr. Torsten Langgemach von der Naturschutzstation: Woblitz belegen dagegen, daß der Kolkrabe auf Viehweiden nur solche Tiere überhaupt anhackt, die ungewöhnlich lange am Boden liegen. Er hört damit aber sofort auf, wenn das Tier den Kopf herumwirft oder aufsteht. Nur wenn Weidevieh auf Grund einer Krankheit stark geschwächt ist und kein normales Bewegungsverhalten mehr zeigt, können die Angriffe(auch von mehreren Raben) fortgesetzt und einzelne Tiere getötet werden. In den wenigen Fällen, in denen Brandenburger Landwirte angeblich vom Kolkraben getötete Schafe und Rinder zu einer veterinärmedizinischen Untersuchung brachten, wurde immer nachgewiesen, daß die Tiere entweder zum Zeitpunkt des Angriffes von Kolkraben bereits tot oder schon soweit erkrankt waren, daß sie sich nicht mehr auf den Beinen halten konnten. Die typischen Angriffs- und Fraßspuren des Kolkraben an Kopf und After werden dem Vogel häufig als Ausdruck einer besonders heimtückischen Tötungsstrategie ausgelegt, nachdem er gesunde Lämmer oder Kälber durch Aushacken der Augen blende, um sie danach leichter töten zu können. Sie erklären sich aber dadurch, daß er einen Kadaver wegen seines meißelförmigen Schnabels nicht an der relativ dicken Bauchdecke öffnen kann.
Nach Ansicht der in Potsdam versammelten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler liegen wesentliche Risikofaktoren für Weidevieh in der in einigen Fällen recht dürftigen Betreuung durch den Tierhalter sowie möglicherweise in rassebedingten Unterschieden in der Mutter-Kind-Beziehung der Rinder und Schafe. Dr. Langgemach belegte, daß Schafhalter im Norden‘Brandenburgs , die über Kolkrabenschäden klagten, sich von ihren nichtbetroffenen Kollegen vor allem durch nachlässige Weidehygiene und Tierbetreuung unterschieden. Zu einer ähnlichen Bewertung kam auch Veit Hennig von der Universität Tübingen , der 1994 und 1995 in Baden-Württemberg „Schäden“ an Schafherden untersuchte. Er stellte zwar gelegentliche Angriffe auf lebende Lämmer und die generelle Tötungsfähigkeit des Kolkraben nicht in Frage, wies aber bei den von ihm untersuchten toten Lämmern zum Teil an Hand völlig fehlender Fettreserven an Niere und Herz extreme Unterernährung nach’oder attestierte schwerwiegende Erkrankungen. In der Schafhaltung stellt die Ablammperiode die„kritische Phase“ dar. Neben der von Kolkraben hauptsächlich genutzten Nachgeburten fallen immer wieder Lämmer an, die auf Grund der Züchtung einzelner Rassen auf Zwillingsgeburt und noch verstärkt durch die Unerfahrenheit von erstgebärenden Mutterschafen nicht ausreichend versorgt werden. Werden diese Lämmer nicht bald gesäugt, stellt sich schon nach kurzer Zeit(5 Stunden) ein komaartiger Schwächezustand ein. Aber auch Mutterschafe können bei Zwillingsgeburten durch Calciummangel für einige Zeit am Boden festliegen. Verstärkt wird die mangelnde Beweglichkeit durch die in der Ablammperiode noch häufig kalte und nasse Witterung. Wenn der Schäfer in dieser Zeit den ablammenden Tieren nicht ein Mindestmaß an Wetter