Kolkrabe und extensive Viehhaltung 57
schutz bietet oder die Ablammperiode sogar auf die Wintermonate ausdehnt und es an der Beaufsichtigung(vor allem in den Morgenstunden) fehlen läßt, sind Konflikte mit Kolkraben vorprogrammiert. Bei einzelnen Schafrassen ist zudem das Abwehrverhalten gegenüber Attakken deutlich schwächer als z.B. bei Rindern oder auch Ziegen. Nichtbrütertrupps konzentrieren sich meist auf die Herden, in denen sie auf Grund mangelhaften Herdenmanagements eine sichere Beute erwarten können. In einem besonders krassen Fall, in dem Mutterschafe und Lämmer im Dezember am Boden festfroren, kann wohl kaum den Kolkraben die Schuld an dem Schaden gegeben werden.
In der Rinderhaltung sind die Verhältnisse ähnlich: in einem länger recherchierten Fall eines Mutterkuhhalters konnte die Universität Potsdam 1995 nachweisen, daß der ausschließliche Einsatz von erstgebärenden Kühen(Färsen) einer nicht speziell für die extensive Haltung gezüchteten Rinderrasse bei mehreren Kälbern zu einer deutlichen Unterernährung führte. Der betroffene Landwirt bemerkte die Probleme nicht, weil er die Herden nicht ordnungsgemäß zweimal am Tag kontrollierte. Bernhard Hau stellte auch die relativ hohe Zahl brandenburgischer Rinderzüchter heraus, die über. keine Konflikte mit Kolkraben berichteten(immerhin 50% der Rinderhalter der landesweiten Umfrage 1995). Obwohl einige der Betriebe in unmittelbarer Nachbarschaft zu Herden liegen, die über„Kolkrabenschäden“ klagen und z.T. mit den gleichen, nicht auf extensive Haltung gezüchteten Rassen arbeiten, treten trotz der Anwesenheit von Kolkraben keine Schäden auf. Diese Betriebe, die eine. intensive Herdenbetreuung als„normal“ oder„selbstverständlich“ bezeichnen, zeigten, daß ein Miteinander zwischen extensiver Viehhaltung und Kolkraben möglich ist. Um so erstaunlicher sei es, daß der genannte Landwirt trotz nicht stichhaltiger oder sogar fehlender veterinärmedizinischer Gutachten vom Landwirtschaftsministerium eine Entschädigung zugesprochen bekommen habe.
Sicher gibt es in Brandenburg eine große Zahl von Betrieben, die trotz großer Mühen auf Grund der marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen in betriebliche Engpässe geraten und dies durch neue Bewirtschaftungsformen auszugleichen versuchen. Wenn Umstellungen(wie z.B. die Vorverlegung der Ablammphase auf den Winter oder die Ausdehnung auf das ganze Jahr) zu Konflikten mit einem in der Natur lebenden Tier wie dem Kolkraben führen, darf aber nicht automatisch die„Schuld“ beim Raben gesucht werden. Schlimmer noch sind solche (sehr wenigen, aber teilweise von der Öffentlichkeit hauptsächlich wahrgenommenen) Betriebe, die bewußt auf die aktuelle Kolkrabendiskussion aufspringen und betriebswirtschaftliche Probleme über den Entschädigungsweg auszugleichen suchen. Die verantwortlichen Behörden sollten in jedem Fall eine strenge Prüfung der Situation vor Ort durchführen, um unvermeidliche von vermeidbaren Schadensfällen und„Trittbrettfahrern“ zu trennen. Steuergelder für den Ausgleich von„Kolkrabenschäden“ könnten dann in Zukunft vielleicht effektiver verwendet werden, z.B zur Züchtung geeigneter Extensivrassen, für Hilfen zur Verbesserung des Wetterschutzes in der Ablammphase der Schafe, usw.
Die anwesenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler waren sich darin einig, daß aus den vorliegenden Erkenntnissen keine Rechtfertigung für eine Bejagung des Kolkraben in Brandenburg abzuleiten ist. Auch in den nördlichen Bundesländern Schleswig-Holstein , Nie dersachsen und Mecklenburg-Vorpommern , in denen die Kolkrabenbestände wahrscheinlich größer als in Brandenburg sind, sind die Landwirtschafts- und Umweltbehörden nach intensiven öffentlichen Diskussionen und einzelnen Abschußgenehmigungen seit etwa zwei Jahren dazu übergangen, nur noch in Ausnahmefällen örtlich begrenzte Maßnahmen durch die unteren Jagd- und Naturschutzbehörden zuzulassen. Auch in Bayern , Baden-Württemberg und Hessen ist eine Bejagung des Kolkraben nach Aussage der Landwirtschafts- und Umweltmini