OTIS 4(1996) 1/2: 78-143
währender Nachstellung durch den Menschen in Verbindung mit zunehmendem Lebensraumverlust. Früher kam der Schreiadler auch im Westen Mitteleuropas vor, vielleicht sogar in Frankreich . In Schleswig-Holstein und Niedersachsen galt er als nicht selten(BERNDT & NAGEL 1989, LOOFT& BUSCHE 1990). Vorkommen in dieser Region ebenso wie in Bayern erloschen spätestens im ersten Viertel dieses Jahrhunderts(GLUTZ et al. 1989, SCHELLER& MEYBURG 1995). Der negative Bestandstrend ist auch im östlichen Teil des Verbreitungsgebietes erkennbar(MEYBURG 1991).
In Brandenburg lebte der Schreiadler im 19. Jahrhundert"im ganzen Gebiet, wo es überall Wälder mit ausgedehnten Brüchen, Seen und sumpfigen Waldwiesen gibt"(SCHALOW 1876). Im Jahre 1919 schreibt derselbe Autor, daß der Schreiadler ein überall vorkommender, aber vielfach übersehener Brutvogel ist, vermerkt aber gleichzeitig bereits, daß er in Revieren, in denen er früher regelmäßig horstete, nur noch vereinzelt auftritt oder ganz verschwunden ist. Vorkommen in den Forsten Fürstenwalde , Fangschleuse, in der Dubrow, im Spreewald, in der Prignitz und anderen Gebieten erloschen von der Jahrhundertwende an(FISCHER 1983); südlich Berlins sind selbst ideale Brutreviere, etwa im Spreewald, seit langem unbesiedelt (MEYBURG 1971). Die von WENDLAND (1951) erwähnte Zunahme nach dem zweiten Weltkrieg scheint nicht lange angehalten zu haben, denn in traditionellen Verbreitungszentren wie dem weiteren Bereich der Schorfheide ist der Schreiadler seit vielen Jahren weitgehend verschwunden. Im Jahr 1975 bezifferte GENTZ(1975) die Zahl der brandenburgischen Schreiadler(einschließlich des Altkreises Templin ) auf etwa 29 Brutpaare, die in den Altkreisen Angermünde, Eberswalde , Bernau , Gransee und Oranienburg vorkamen. Zum besseren Vergleich mit der Gegenwart wären etwa zwei bis drei Paare im Altkreis Prenzlau zu addieren, der damals nicht zu Brandenburg zählte(NEUBAUER 1987). Dieses Verbreitungsgebiet entspricht in etwa dem gegenwärtigen.
Auch der Brutbestand ist nach GENTZ(1975) nach den reinen Zählergebnissen vergleichbar mit dem jetzigen, den RYSLAVY(1997) für das Jahr 1995 mit 30 Paaren angibt. Die Interpretation dieser Angaben muß jedoch eine Besonderheit des Schreiadlers berücksichtigen: seine heimliche Lebensweise. Aus diesem Grund sind sowohl frühere als auch gegenwärtige Bestandsangaben mit Vorsicht zu genießen; die Fehlerquote ist schwer zu kalkulieren und Bestandstrends sind aus den reinen Zahlen nicht ableitbar. Frühere Bestandsangaben wurden von einer kleinen Zahl von Ornithologen unter Bedingungen erschwerter Mobilität erbracht und beruhen teilweise auf Befragungen. Bei der gegenwärtigen Erfassung durch ein Netz von Horstbetreuern dürfte ein größerer Prozentsatz der anwesenden Paare nachgewiesen werden als früher. Aufgrund der etwa gleichgebliebenen Zahl erfaßter Brutpaare kann als sicher gelten, daß in Wirklichkeit der Bestand abgenommen hat. Dafür spricht auch der Trend in gut untersuchten Einzelgebieten. Dies entspricht der Entwicklung in Mecklenburg-Vorpommern , wo die langjährige Zunahme der registrierten Brutpaare einen Bestandsanstieg suggerierte. Hier wird gegenwärtig der Erfassungsgrad auf 80-90% geschätzt(SCHELLER& MEYBURG 1995). Auch in Brandenburg haben wohl heutige Erhebungen kaum den gesamten Bestand erfaßt; der Erfassungsgrad dürfte niedriger als in Mecklenburg-Vorpommern sein. Das große Kenntnisdefizit verdeutlicht auch das Ergebnis der Erfassung Im Jahr 1995: unter 30 gemeldeten Revieren ist lediglich von 19 der Bruterfolg bekannt(1996 von mindestens 24 gemeldeten Revieren ebenfalls 19 BP mit bekanntem Bruterfolg).
Von diesen Unsicherheiten behaftet sind auch neuere Meldungen, die eine Wiederbesiedelung verwaister Brutgebiete und eine Wiederausbreitung in Richtung Westen andeuten. Viele der gemeldeten Beobachtungen sind schwer nachvollziehbar bzw. haben sich zwischenzeitlich als zweifelhaft oder falsch erwiesen(z.B. Brutverdachtsmeldungen aus völlig ungeeigneten Lebensräumen, Märzbeobachtungen oder nachweisliche Unsicherheit in der Artbestimmung).